Orchestertranskriptionen 1

Schubert und Liszt

Die Praxis instrumentaler Transformation, die stets zur musikalischen Tradition gehört hat und nur im 20. Jahrhundert und in Europa aus puristischen Skrupeln in den Hintergrund gedrängt wurde, scheint wieder auf stärkeres Interesse zu stoßen.

Franz Schubert: vierhändige Fantasie f-Moll D 940

Felix Mottls Schubert-Auffassung läßt schon beim Blick in die Partitur Schlimmes befürchten und klingt auch erwartungsgemäß problematisch, ist aber für die Ohren des 19. Jhdts. eine angemessene und würdige Huldigung. Das üppig besetzte Orchester geht weit über Schubert hinaus, wäre aber durchaus tolerabel, wenn nicht einzelne Effekte stören würden. Vor allem Harfe und Piccolo gehen gar nicht (Piccolo kann man allenfalls bei forschen Tänzen verwenden, wie es Bruno Maderna in seiner Orchestrierung von Polka und Galopp D 735 gemacht hat). Harfe im düsteren Schatten der Posaunen ist ein besonders pathetischer Effekt, man kommt sich vor wie in einem Filmmelodram der 30er Jahre. Grenzwertig ist der Einsatz der Trompeten in einer Weise, wie sie erst Mahler verwendet.

Vermutlich ging Willem van Otterloos erste Orchestrierung, die nicht eingespielt wurde, in eine ähnliche Richtung, wobei die Frage wäre, weshalb er sich die Arbeit angesichts von Mottls erschöpfender/ausschöpfender Version überhaupt machte. Die überlieferte zweite Version erscheint zunächst vorbildlich zurückhaltend, aber auch etwas protestantisch karg. Man wünscht sich doch einiges von Mottls Fülle und Mut zur Auffüllung. So müßte man sich die Ideallösung wohl ungefähr in der Mitte zwischen Mottl und Otterloo vorstellen. Leider nimmt Leon Botsteins Dirigat keineswegs für Mottl ein. Er klingt wie ein Filmmusikdirigent der 30er Jahre und läßt es an Stilempfinden fehlen. Das American Symphony Orchestra agiert grob und sehr direkt.

Erstaunlicherweise gibt es noch eine weitere Orchestrierung, die auf den Schubert-Tagen Wien-Lichtental 2010 aufgeführt wurde. Sie stammt, wie auch die Orchesterfassung der Arpeggione-Sonate D 821 und der Kantate Mirjams Siegesgesang D 942, die aber ebenfalls schon Mottl recht schön instrumentiert hatte, von Johannes Holik. Mangels Quellen ist über diese Arbeiten keine weitere Aussage möglich.

Dmitri Kabalewsky hat einst eine sehr ernsthafte und aufwendige Bearbeitung für Klavier und Orchester hergestellt, die von Emil Gilels eingespielt wurde, leider in einer akustisch sehr muffigen und uninspirierten Aufführung. Der russische Bearbeiter, der aufgrund seiner Musiktradition dem 19. Jahrhundert noch näher steht, nimmt sich einige Freiheiten und beabsichtigt keinen stilreinen Schubert. Er gehorcht der gewählten Form des Klavierkonzertes, das in diesem Falle aus vier ineinander übergehenden Sätzen besteht, auch mit einer Kadenz an der entsprechenden Stelle.

Franz Liszt: h-Moll-Sonate

Leo Weiner beherrscht das Orchesterhandwerk natürlich perfekt und liefert, um ein etwas zweischneidiges Lob zu erteilen, süffige Filmmusik ab. Mangels Partitur kann über viele Details nicht im Einzelnen gehandelt werden, aber einige Feststellungen sind doch möglich. Das Attribut Filmmusik kann man etwas wohlwollender durch die Charakterisierung "groß besetzte, spätromantische Programmusik" ersetzen. Liszt selbst hat in seinen Symphonischen Dichtungen genügend orchestrale Vorlagen gegeben, am nächsten ist die Verbindung jedoch - abgesehen von der Les-Preludes-Einleitung - zum Mephisto-Walzer. Daß die Klaviersonate Material genug für ein Orchester enthält, stand nie in Zweifel. Trotzdem heißt dies nicht, daß Liszt das Stück auch als Orchesterwerk genau so komponiert hätte. Es gibt natürlich genuin pianistische Strukturen, deren Umsetzung den Orchestrator vor schwierige Entscheidungen stellt. Weiner wagt immerhin, gewisse gebrochen auf- oder absteigende Bewegungselemente akkordisch zusammenzufassen, um mehr Konsistenz zu gewinnen. Der Virtuosenflitter der kleinen Noten ist oft in der Flöte gut aufgehoben, muß bei klaviaturumgreifender Ausdehnung zwangsläufig durch Klarinette und Fagott wandern, und wenn man im Forte mehr Volumen bräuchte, kann man vielleicht gerade noch den Hörnern solche Beweglichkeit abverlangen, die Posaunen aber nicht mehr verwenden. Ein unlösbares Problem hatte Weiner dann, wenn eine Diskantmelodie von einer solchen Tongirlande, aus dem Baß kommend, in einen Melodieton münden soll. Dann muß das Gewusel auf verschiedene Instrumente verteilt, das Schlußstück jedoch wieder vom Melodieinstrument übernommen werden, das diese Energie weiterführen muß. Insbesondere die Melodielinien der Solovioline - übrigens eine sehr gute Entscheidung - sind formal nicht leicht konsistent zu führen. Der Mut zu hemmungsloser Emotionalität ist ebenfalls anzuerkennen; er rechtfertigt auch den gefühlsverstärkenden Einsatz der Harfe. Nur an wenigen Stellen wünschte man sich Modifikationen. Die lang ausgehaltene H-Dur-Verklärung in den Schlußtakten, die auf die selbe Verklärung am Zarathustra-Ende (R. Strauss) vorausweist, ließe sich beispielsweise durch einige Kontrabaßpizzikato-Schläge zeitlich gliedern. Das Klavier konnte hier nicht gliedern, weil beide Hände durch den liegenden Akkord gebunden sind.

Der Gewinn für das Stück ist beträchtlich. Aus einem angestrengten Gewaltakt für zwei Hände, der zumeist auch andachtheischend zelebriert wird, wird ein (immer noch virtuoses) Stück für ein gelassen seine unbegrenzten Kräfte entfaltendes Orchester. Die Entlassung aus der solistischen Überforderung/Projektion legt die objektiven Qualitäten (und vielleicht auch Schwächen) des Werkes frei. Tatsächlich wirkt das Original danach wie das Schwarzweiß-Foto eines Gemäldes. Die Orchesterfarben sind dem Klavier nachhaltig überlegen und prägen sich ein. Um so unverständlicher, daß diese aufwendige und sicherlich nicht ohne Auftrag entstandene Partitur weder gedruckt vorliegt, noch die Einspielung mit dem Orchester der Hochschule für Musik Franz-Liszt in Weimar allgemein zugänglich ist.

 

Biblio-/Diskographie

Franz Schubert: f-Moll-Fantasie D.940:

Felix Mottl Orchestrierung, Schott o.J.

Leon Botstein, American Symphony Orchestra

http://www.youtube.com/watch?v=0U0ScaaHINY

http://www.youtube.com/watch?v=SP6AaINl9VA

http://www.youtube.com/watch?v=eJ4ZF-dE0-A

Willem van Otterloo, Schubert f-Moll-Fantasie, Orchestrierung 1952 (ungedruckt)

Einspielung: Niederländisches Radio-Kammerorchester unter Thierry Fischer. 2007

Hörproben:

http://www.amazon.com/Willem-van-Otterloo-Netherlands-RCO/dp/B000UPQFK4

Dmitri Kabalewsky Bearbeitung für Klavier und Orchester, Moskau 1963

http://www.youtube.com/watch?v=6cPeZ_61RaY

http://www.youtube.com/watch?v=yCzeEUeXkJ0

Emil Gilels, piano Moscow Philharmonic Orchestra Kirill Kondrashin, conductor Live in Grand Hall of Moscow Conservatoire, oct. 12, 1962

Franz Liszt: Klaviersonate h-Moll, Orchestrierung: Leo Weiner 1955 (ungedruckt)

Bei Simfy.de:

Orchestra-of-Franz-Liszt-Music-School-Weimar-Nicolas-Pasquet