Studie

 

 zum Radfahrverkehr in Großstädten,

 

 besonders in München

 

 von

 Gerhard Bachleitner

 


 Einleitung

Diese Studie erwächst aus langjähriger praktischer Erfahrung des Verfassers als Radfahrer in München, Die Perspektive des Autofahrers ist mir ebenfalls aus eigener Erfahrung vertraut.

Es scheint nötig, die komplexen Probleme des Straßenverkehrs durch etwas Systematik aufzulichten.

 

I.Definitionen

 

Verkehr ist ein dynamisches System

                heterogener Komponenten

                zum Zwecke der Ortsveränderung.

 

1. Sein Ordnungsinhalt setzt sich zusammen aus

 a) den von außen gegebenen, allgemeingültigen Regeln (Verkehrszeichen,  Ampeln, Streckenführungen)

 b) den individuellen Regelvorgängen der Verkehrsteilnehmer untereinander (z.B. beim Spurwechseln, bei Einbiegen in Vorfahrtstraßen, bei Ausweichmanövern)

Durch a) wird rechtsgebundener Raum definiert. Das besagt jedoch nicht, daß b) im rechtsfreien Raum stattfindet. b) ist durch den § 1 StVO abgedeckt.

Die deutsche Verkehrsregelung leidet unter der unglücklichen Tendenz, a) immer mehr auszuweiten und der individuellen Kompetenz immer weniger Entscheidung zu überlassen. Im internationalen Vergleich zeigt sich, daß es auch anders geht. Der italienische Verkehr etwa erscheint in den Städten mindestens doppelt so dicht wie in deutschen Ballungsräumen - Fahrzeuge pro Flächeneinheit -, und trotzdem hat man wohl nur ein Drittel von den bei uns für nötig gehaltenen Ampeln. Und trotz allem funktioniert dort der Verkehr - ohne größeres Aufsehen.

Das deutsche Modell ist somit nicht alleinseligmachend.

 

2. Sicherheit bedeutet die Herstellung von Ordnung, d.h. die Bewegung in geordneten Verläufen.

 a) Regeln bedeuten immer eine Einschränkung eines zunächst totalen Bewegungswillens. Sie sind aber zur Vernetzung der Verkehrsströme notwendig.

 Andererseits nimmt Sicherheit nicht proportional der Regelungsmenge zu. Je mehr Regelvorgänge (nach I 1 a) verwendet werden und je mehr Begegnungspunkte verschiedener Verkehrsteilnehmer entstehen, desto labiler und kritischer wird das System. Ein überregulierter Verkehr wird daher weniger sicher sein, als einer mit einem vernünftigen Kompromiß zwischen äußerem Regelgerüst und selbstverantwortetem Bewegungswillen.[0] Sicherheit läßt sich sinnvollerweise nicht maximieren, sondern nur optimieren, nämlich als Kompromiß zwischen Leistung und Redundanz darstellen. Grundsätzlich ist Sicherheit regelmäßig nicht das Ergebnis juridischer Reglementierung, sondern von funktionaler Stimmigkeit.

 Redundanz bedeutet Schaffung und Zulassung von Sicherheitsspielräumen. Ihrer Natur nach sind sie zugleich stets auch Mißbrauchsspielräume. Redundanz läßt sich vornehmlich durch multifunktionale Regelung des Verkehrsraumes schaffen. Die gegenwärtige Verkehrspolitik geht leider genau in die entgegengesetzte Richtung, auf immer rigidere, monofunktionale Regelungen hin.

 Funktionalität ist hier gleichbedeutend mit Ergonomie. Der Radfahrer wird künftig immer weniger bereit sein, ihn und die anderen Verkehrsteilnehmer nach anderen als ergonomischen Richtlinien behandelt zu sehen. Die Verkehrsregelung hat dem Menschen in seinem Fortbewegungsbedürfnis zu dienen und nicht umgekehrt.

 b) Regeln (nach I 1a) setzen eine bestimmte (Durchschnitts)verteilung der Verkehrsteilnehmer als normativ an. 'Entsprechend dem Verkehrsfluß' werden Straßen als vorfahrtberechtigt oder wartepflichtig eingestuft, und ebenso sollen die Ampelanlagen das Verkehrsaufkommen so gerecht als möglich steuern. Tatsächlich aber klaffen Regelung und reale Verkehrsverteilung häufig weit auseinander. Die Regelung ist viel zu unflexibel, weil es bisher keine Möglichkeit gab, über die reale Verkehrsverteilung jeweils sofort Daten zu gewinnen, in Echtzeit zu verarbeiten und in Regelvorgänge umzusetzen.

 Das wäre durch EDV heute leicht zu erreichen, doch scheint die Verkehrsplanung an einer solchen Optimierung des Verkehrs kein großes Interesse zu haben, wie auch die viel zu geringe Anzahl Grüner Wellen (in München) zeigt. So fand man hier z.B. erst anläßlich der Planung des Mittl.-Ring-Ausbaus, einem Projekt von vielen hundert Millionen DM Umfang, daß sich durch Signaloptimierung soundsoviel Prozent an Verkehrsfluß gewinnen ließen.

 

3. Funktionalitätsprinzip

  a) Sinn und Zweck des Verkehrs ist nicht die Verkehrsberuhigung, sondern der Verkehr.

  b) Sinn und Zweck des Verkehrs ist nicht die Einhaltung der ihn betreffenden Regeln, sondern der Verkehr.

 c) Sinn und Zweck des Verkehrs ist der maximale Durchfluß der Teilnehmer durch den gegebenen Verkehrsraum bei minimalen Störungen (Unfällen).

Dieses Funktionalitätsprinzip ist zu einer korrekten Analyse des realen Verkehrs unerläßlich. Dem Verkehr fremde Aufgaben zu stellen, ist ebenso mißlich wie, das gesetzliche und der Polizei zur bloßen Überwachung - nicht Funktionsprüfung! - anvertraute normative Regelwerk für eine ausreichende und angemessene Beschreibung des realen Verkehrs zu halten. (Begründung siehe I 2)

 

II. Phänomenologie des Fahrrads

 

1. Das Fahrrad besitzt ambivalenten Charakter. Es ist einerseits Fahrzeug, erlaubt andererseits dem Fahrer den augenblicklichen Übergang in den Fußgängerstatus - auf Grund seiner vergleichsweise unaufwendigen mechanischen Konstruktion.

Der Radfahrer hat die Tendenz, die Vorteile beider Verkehrsformen zu vereinigen. Das Gesetz selbst benutzt diesen Zwittercharakter[1] ebenfalls, indem es dem Radfahrer einerseits die Straße als Fahrweg zuweist und den Gehweg dafür verbietet, und andererseits auch wieder den Gehweg vorschreibt und die Straße verbietet.

Und wie ließe sich etwa begründen, daß auf der durchaus 'erträglichen' Ludwigstraße der Radweg auf den Gehsteig verlegt werden mußte, während die wesentlich 'gefährlichere' Leopoldstraße ab Siegestor, blieb wie früher?

Der Radfahrer erlebt also tagtäglich die Willkür in der Festlegung seiner Fahrbahn, wobei funktionale Gründe für diese Festlegung nur selten ersichtlich sind. Er wird daher kaum Skrupel haben, auf die Fahrbahn zu wechseln, wenn er auf dem (zum Radweg deklarierten) Gehweg nicht weiterkommt, und umgekehrt.

Das Regelwerk des Radfahrverkehrs ist in hohem Maße inkonsistent. Es überläßt ihm in einem Fall Regelungsleistungen, die es ihm im anderen Fall entziehen zu müssen glaubt. Es ignoriert somit die materiale und funktionale Grundlage des Verkehrs und provoziert damit Regelübertretungen.

 

2. Das Fahrrad ist ein einspuriges Fahrzeug, d.h. es verdrängt nicht so viel Breite, daß es einen ganzen, für ein (zweispuriges) Auto ausgelegten Fahrstreifen behaupten könnte. Dies hat den Vorteil,

 a) daß es fast immer noch neben einem Auto auf dem Fahrstreifen Platz hat,

 und den Nachteil,

 b) daß bei vielspurigen Straßen der Fahrstreifenwechsel, etwa von ganz rechts bis ganz links, schwierig oder unmöglich wird. Beidseits überholt zu werden - wie in einem mittleren Fahrstreifen -, ist im Auto kein Problem, auf dem Fahrrad aber gefährlich.

 

3. Das Fahrrad ist ein ökologisch ideales Gerät und technisch meist sehr defizitär realisiert.

 a) Das Verhältnis zwischen Energieaufwand und erzielter Geschwindigkeit ist unerreicht gut. Im Stadtverkehr, wo die Geschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt ist, liegt es um mehrere Größenordnungen über dem des Autos.

 b) Das Fahrrad ist praktisch geräuschlos.

 c) Der Raumbedarf ist minimal. Das hat indes zur Folge, daß auch das optische Gewicht sehr gering ist und der Radfahrer in seiner Geschwindigkeit gewöhnlich unterschätzt wird.

 d) Umgekehrt ist der Bremsweg (bei einem felgengebremsten Rad) viel zu lang im Verhältnis zur erzielbaren Geschwindigkeit. Bei Regen wird er unverantwortlich, d.h. lebensgefährlich.

 e) Desgleichen sind Schaltvorgänge ergonomisch oft schlecht angeordnet (und damit potentiell gefährlich); es gibt Räder, deren Bodenfreiheit (unter dem Pedal) so gering ist, daß die Pedale bei Kurvenschräglage den Boden erreichen; das Beleuchtungssystem ist unbefriedigend, die Stabilität der Felgen läßt zu wünschen übrig, u.a.m.

 

III. Phänomenologie des Radfahrers

 

1. Der Radfahrer hat als Geschwindigkeitsobergrenze seine eigene körperliche Leistungsfähigkeit. Bei einem sportlich halbwegs trainierten Menschen und einem handelsüblichen Rennsportrad kommt man auf eine Geschwindigkeit von 30-40 km/h.[2]

Der Radfahrer wird keine Strecken akzeptieren, die ihm das Ausfahren nicht ermöglichen, und keine Regelungen, die seine Schwungenergie nicht berücksichtigen. Er hat ein vitales Interesse an einem funktionalen Verkehrsablauf, weil er Dysfunktionalität am eigenen Leibe ausbaden muß.

 

2. Der Anspruch, Fahrwege und Regelungen zu erhalten oder beizubehalten, die diese Geschwindigkeit erlauben, ist nicht schlechterdings der Egoismus einer Gruppe von Verkehrsteilnehmern. Vielmehr sollte die Gesellschaft in ihrem eigenen Interesse das ökologisch so ideale Fahrrad in seiner Attraktivität nach Kräften fördern oder diese zumindest nicht beeinträchtigen. Das Fahrrad ist in der Großstadt in einem doch erheblichen Radius dem PKW-Verkehr und nicht zuletzt auch dem ÖPNV an Leistungsfähigkeit, d.h. Zeitaufwand, ebenbürtig oder überlegen. Der Verfasser erreicht von seinem Standort an der Donnersbergerbrücke alle für ihn wichtigen Stadtteile innerhalb etwa einer Viertelstunde (freilich nur bei funktionaler Auslegung der Verkehrsordnung): Maxvorstadt/Schwabing mit Universität und Bibliotheken, Olympiazentrum, OEZ, Marienplatz, Gasteig, Laim/Pasing, Nymphenburg.

Der Radfahrer hat, wie jeder andere Verkehrsteilnehmer, den Anspruch, auf dem schnellsten Wege von A nach B zu gelangen, und er wird keine vermeidbaren Behinderungen dulden.[3] Radfahren ist, in dem hier vermeinten Sinne, kein Sonntagsvergnügen, es geht nicht um Spazierfahrten, bei denen Zeit keine Rolle spielt, und es bleiben auch die Hausfrauen außer Betracht, die auf 16"-Klapprädern mal eben zum Einkaufen bummeln. Es ist demzufolge auch ein gründliches Mißverständnis, den Radweg als 'Strampelpfad' zu verniedlichen.[4]

 

3. Der Radfahrer ist mit der oben zu Grunde gelegten Geschwindigkeit nur wenig langsamer als das Auto; er profitiert noch von den auf Autofahrer zugeschnittenen Grünen Wellen. Hingegen ist der Radfahrer etwa zehnmal schneller als der Fußgänger. Den Radfahrer auf den Gehsteig zu zwingen und ihn nur durch eine gemalte, und d.h. fast soviel wie: eine gedachte Linie vom Fußgänger zu trennen, heißt soviel wie neben einem Auto eine Rakete fahren zu lassen. Das Mißverhältnis in dieser Konstruktion kann man sich nicht krass genug vorstellen. Der Platz des Radfahrers ist zuallererst und grundsätzlich auf der Straße.

 

IV. Phänomenologie des Radwegs

               oder

    Die Sünden der Verkehrsplaner

 

1. Die Ideologie der 'Entmischung'.

Der Versuch, mehr Sicherheit für den Radfahrer durch Separierung von  anderen Verkehrsteilnehmern zu erreichen, ist in allen wesentlichen Punkten irrig. Denn de facto erhöht er das Regelvolumen und schafft neue Konfliktanlässe.

Verkehr läßt sich nur mit ganz enormem Aufwand annähernd entmischen (kreuzungsfreie Autobahnauffahrten, 'Kleeblätter'). Für alle anderen Situationen ist nach wie vor eine sinnvolle Verflechtung nötig.[5] Man muß den Verkehr dynamisch, als Summe individueller Verläufe betrachten, und darf nicht bloß statisch, auf dem Reißbrett, Trassen festlegen. Nur der faktische Ablauf zählt.

Die statische Sicherheit für den Radfahrer, eine eigene Route, einen eigenen Radweg zu besitzen, ist keinen Pfifferling wert, wenn die Verkehrsdynamik anderen Tendenzen folgt.[6] Man sieht es vielen Radwegen an, welchen Überlegungen sich sich verdanken: der Planer stellt auf einem Gehsteig für eine gewisse Strecke entbehrlichen Raum fest, also malt man die berüchtigte Linie und fertig ist der Radweg. In der Neufassung der StVO wurde auch tatsächlich schon die weitere Degradierung des Radfahrers gesetzlich festgeschrieben: er ist nunmehr auf dem Radweg, 'seinem eigenen Radweg', gegenüber den, einen Bus besteigenden oder verlassenden und dabei den Radweg kreuzenden Fahrgästen wartepflichtig. Ganz offensichtlich ist der Radweg das Instrument zur Abschiebung, Verdrängung und Reglementierung des Radfahrers.[7]

 

2. Das Phantom 'Radweg'

Was dem Radfahrer als Radweg angeboten wird, als 'eigener Bereich', ist nichts weniger als ein solcher:

 a) sofern nämlich bloß ein Gehweg umgewidmet wurde;

 b) auch bei separat angelegten Radwegen, die sich stets aus vielen Einzelstücken mit unterschiedlichem Niveau zusammensetzen. Ein typischer Radweg dieser Art sieht so aus:

 

Dies für eine Fahrbahn sui generis zu erklären, bedeutet offensichtlich eine grobe Verkennung der Tatsachen. Der Radweg ist eine Berg- und Talbahn, weil er bei jedem Queren einer Einmündung auf deren Niveau geht; die Hauseinfahrten - meist auch abgesenkt - sind in Kopfsteinpflaster ausgeführt, das den Radfahrer bremst, und es dokumentiert auch optisch den Vorrang des Autos. Nur die dem Radweg parallele Fahrstraße ist wirklich homogen und ohne alle Niveauunterschiede.[8]

Der Mangel einer eigenen Trasse für den Radweg führt zu den berüchtigten harten Auffahrten. Zwar sind diese abgeschrägt gestaltet, aber es scheint dem jeweiligen Straßenbauer überlassen zu sein, wieviele Zentimeter der Randstein am Ende noch von der Straße entfernt ist. Und es genügt ja eine einzige unzureichend abgeschrägte Auffahrt im Stadtgebiet, um dem Radfahrer bei voller Fahrt die Felge zu lädieren. (Der Verfasser hat schon etliche Fahrräder besessen, und ein jedes hat nach einigen Monaten Stadtfahrt seinen Rundlauf eingebüßt.) Auch neueste Radwege wie der auf der Ludwigstraße sind in ihren Auffahrten unbefriedigend, denn hier ist die Steigung zu steil und wirkt damit noch immer wie ein Schlag.

Es müßten ferner sämtliche Ein- und Ausfahrten von Grundstücken geglättet werden, da sie für den Radfahrer potentielle Auf- und Abfahrten (auf den Radweg) darstellen.

Aufwand und Kosten für eine durchgängige und perfekte Realisierung der Auffahrten scheinen viel zu hoch und unnötig angesichts dessen, daß die dem Radfahrer angemessene Fahrbahn, die Straße, in bester Qualität und unüberbietbarer Quantität ja schon vorhanden ist.

Ohnehin betreiben die deutschen Straßenbauer eine exzessive Ornamentik, basteln überladene Zierraten aus Verkehrsinseln, unterschiedlich hohen Bordsteinen, Ablaufrinnen, Pflastermustern, Absperrgittern, -bögen und - säulen. Diese Gliederungs- und Schematisierungssucht hat inzwischen wahnhafte Züge angenommen.

 

3. Der Belag.

Selbst diese Unterbrechungen einmal beiseite gelassen ist der beste Radweg nie so gut wie eine halbwegs ordentliche Straße. Das liegt offenbar am ersparten Unterbau. Es gibt immer Welligkeiten und Unebenheiten[9]. Die Straße ist für die Autos zu einer völlig planen Fläche gemacht, obschon diese das infolge ihrer Federung gar nicht nötig hätten, und dem Radfahrer, der keine Federung besitzt, wird rücksichtslos eine Rütteltour zugemutet. Man versuche einmal, ein Päckchen Eier in einer Tasche auf dem Fahrrad zu transportieren (Die Anzahl der zerbrochenen könnte man als Rüttelkoeffizienten der betreffenden Strecke bezeichnen).

Der Komfort der Straße und die Schäbigkeit der Radwege sprechen nicht für die letzteren. Aber selbst auf den Straßen gelingt es den Straßenbauern noch und immer mehr, Obstruktion zu betreiben. Aus ideologischen Gründen wird überkommenes Kopfsteinpflaster nicht nur nicht im nötigen Maße durch glatten Belag ersetzt, sondern man führt umgekehrt nicht wenige Neubelegungen in Kopfsteinpflaster aus. Das ist vorsätzliche Verkehrsbehinderung und -gefährdung; man möge etwa einmal die Sicherheitsbedingungen auf nassem oder beeistem Kopfsteinpflaster untersuchen[10]. Zu den Bösartigkeiten der Verkehrsplaner gehören außerdem die Aufpflasterungen in sog. verkehrsberuhigten Straßen. Von ihrer Fragwürdigkeit auch für den Autoverkehr einmal ganz abgesehen stellen sie auch für den Radfahrer eine Zumutung und erhebliche Gefährdung dar. Der Verfasser hat auch bereits einen Beinahe-Unfall beim Übergang Marsstraße-Rupprechtstraße erlitten - ausschließlich wegen dieser Anlage: Straßenbreite, die keinen Begegnungsverkehr zuläßt, durch die vorsätzlich eingebaute Kurve und parkende Wagen Sichtbehinderung, gröbstes Kopfsteinpflaster, auf dem kaum noch eine Kurve gefahren werden kann.

 

4. Radwege sind zu schmal. Radfahrer müssen einander überholen können. Radfahrer kommen einander auch oft entgegen - was zwar regelwidrig ist, was aber jeder Radfahrer als Betroffener verständlich finden und akzeptieren wird (siehe V 5).

Der Radweg verläuft oft unter Alleebäumen. Die Sicht des Autofahrers auf den Radfahrer ist dadurch merklich eingeschränkt.

Bei Nacht ist die Abschirmung der Straßenbeleuchtung ein zusätzliches Sicherheitsrisiko für den Radfahrer. Im Herbst sind die Radwege oft mit herabgefallenen Kastanien übersät, die den Radfahrer zum Schleudern bringen, und mit Laub bedeckt, das trocken, taufeucht und naß ebenfalls höchste Gefahr bedeutet. Im Winter werden die Radwege üblicherweise nicht schneegeräumt; wo dies doch geschieht, bleibt nach dem Abtauen der zum Streuen verwendete Kies als Rollsplit liegen und macht den Weg zu einer Schleuderbahn.

 

5. Die Kurven- bzw. Krümmungsradien sind kriminell. Sie entstehen durch rein schematisches Herumführen des Radweges an anderen fixen Baukörpern oder Flächen, U-Bahn-Eingängen, Grünflächen, Bäumen, Ampelmasten usw. Ferner entsteht beim Übergang eines Radweges in eine Straße ohne Radweg und umgekehrt ein unvertretbarer Krümmungsradius, nämlich ein rechter Winkel.

 

6. Radwege haben eine falsche Geometrie. Da sie sich auf der gleichen Trasse wie der Gehweg befinden, sind sie nach links, zum Randstein, abschüssig. Beim Rechtsabbiegen, entweder auf eine Straße, oder noch schlimmer, in einen weiteren Radweg, entsteht ein extrem ungünstiger, vor allem bei Glätte gefährlicher Neigungswinkel. Fährt man hingegen auf der Straße, hat man die optimale Neigung, nämlich zum Randstein hin.

 

7. Das Argument, der Radweg schütze den Radfahrer vor unachtsam geöffneten Türen parkender Autos nach dem Muster


offene Autotüreist nicht nicht stichhaltig, denn auf dem Radweg passiert folgendes

:

Der Autofahrer wird, schon wegen der anderen Autos, in der Regel in den linken Rückspiegel schauen, während der rechte Außenspiegel oft ganz fehlt und der Blick in ihn zu den seltensten Handlungen des Autofahrers gehört. Die Aufmerksamkeit des Autofahrers gilt ganz natürlich in erster Linie der linken, dem Straßenverkehr zugewandten Seite. Dann sollte man dieses Faktum des Verkehrs auch in eine funktionale Planung einbauen und nicht absichtlich dagegen verstoßen.

Während der Radfahrer im ersteren Fall das Risiko kennt und gegebenenfalls den Seitenabstand vergrößert, fühlt er sich im zweiten Fall auf dem Radweg formal sicher, hat aber im Gefahrenfall keine Möglichkeit zum Ausweichen; denn der rechte Radwegrand hat einen Niveauunterschied zum Gehweg und ist in so flachem Winkel nicht überfahrbar.

 

7. Klassisches Beispiel dysfunktionaler Regelung ist der Radweg bei Einmündungen:


Schlechte Sicht, zusätzlicher Regelvorgang, der Abbiegeverkehr wird aufgehalten und der Radfahrer kann sich trotzdem nicht auf seine Vorfahrt verlassen.

Ohne Radweg gab es dieses Problem nicht:

 Da dem Autofahrer oft die Sicht durch parkende Autos verdeckt ist, vergißt er oft, daß ihn von hinten noch ein schnelles Verkehrsmittel, das Fahrrad, kreuzen könnte.

 Indem der Autofahrer den Radfahrer unmittelbar neben sich hat, muß er bewußt abschätzen, ob er noch rechtzeitig vor ihm die Einmündung erreicht, oder ob er ihn fahren läßt und hinter ihm einbiegt.

Auch mit eigener Rechtsabbiegespur ist das ältere Verfahren dem Radweg überlegen:

 Der Radfahrer ordnet sich links ein und läßt die Rechtsabbieger an sich vorbei, die beste, weil funktionale Lösung; eine Leistung nach I 1 b. Dem Radler spart sie ein Gefahrenmoment, dem Autofahrer Zeit. - Gelegentlich wird derartiges auch ganz regulär, d.h. nach I 1 a verlangt: Sonnenstraße vor Schwanthalerstr. In Gegenrichtung, vor Lenbachplatz sogar mit 2 Rechtsabbiegerspuren.

Noch schlimmer ist der Fall eines ausbiegenden Autos:

Der Autofahrer muß, um die Straße einsehen und die parkenden Wagen übersehen zu können, so weit vorfahren, daß er genau auf dem Radweg steht. Dies ist schon ärgerlich, wenn das Auto nur wartet, also ein statisches Hindernis darstellt. Keinem anderen Verkehrsteilnehmer außer dem Radfahrer wird zugemutet, sich in seiner vorfahrtberechtigten Geradeausfahrt regulär behindern lassen zu müssen. Der Autofahrer verhält sich durchaus korrekt.

 

Schlechterdings selbstmörderisch ist folgende Konstellation:


Wegen der Bebauung und wegen der geringen Straßenbreite der Ausmündung sieht weder der Autofahrer den Radfahrer noch der Radfahrer den Autofahrer; der Winkel ist zu klein. Der Zusammenstoß ist unvermeidlich.

 

Eine solche Stelle befindet sich z.B. an der Marsstraße Ecke Hopfenstr. mit hoher Bebauung (Rundfunkhaus) und mehrfach an der Agnes-Bernauerstr. stadtauswärts mit flacher Bebauung. Hier auf dem Radweg bestehen zu wollen, wäre Selbstmord. Auf der Straße löst sich dieses Problem in Nichts auf.

 

8. So, wie dem Radfahrer der Radweg die mühelose Möglichkeit, sich täglich totfahren zu lassen, verschafft, verschafft er ihm auch die Gelegenheit, seinerseits mühelos Fußgänger totzufahren.

Siehe z.B. Augustenstraße:

 

 Schmaler, stark gewundener Radweg, schmaler Gehsteig, ein Geschäft am andern, Fußgänger queren, um zu ihren geparkten Wagen zu kommen, Einfahrten, U-Bahnausgänge. Der Radfahrer erwischt in diesem hochverdichteten Verkehrssegment ohne weiteres irreguläre Fußgänger auf seinem Radweg. Und er wird auch schuldlos bleiben (müssen), denn in jedem Fall wird der Bremsweg zu lang gewesen sein.

Ähnliche Situation: Zweibrückenstr. Richtung Isartor, streckenweise Agnes-Bernauerstr.

 

Der Radfahrer möchte allerdings nicht die Konditionierung des Fußgängers zu einer roboterartigen Existenz unterstützen. Der Fußgänger wird und soll sich nicht soweit disziplinieren lassen, daß er sich nur noch in Reservaten bewegen darf.

Nichts fruchten Regeln auch gegen Tiere:


 Zamperl wühlt im Grünstreifen neben dem Radweg, unangeleint oder gar noch angeleint; eine spontane Bewegung des Tieres, und Herrchen ist seinen Liebling los.

 

 

IV. Strategische Benachteiligungen des Radfahrers

 

Die ökologischen Vorteile des Fahrrads, II 1-3c, werden im vorhandenen Verkehrskonzept nicht nur nicht genutzt; vielmehr wird der Radfahrer Einschränkungen unterworfen, die eindeutig auf das Auto berechnet sind, d.h. dem Verkehrsmittel Fahrrad nicht gerecht werden.

 

1. Einbahnstraßen

 

Soweit es sich um eine Verkehrsberuhigungsmaßnahme handelt und die Straße nicht schon von Natur aus zu eng ist, sollte dem Radfahrer die Durchfahrt ermöglicht werden, denn er verursacht ja keinen Lärm (II 3c). Die mit Einbahnregelungen sonst verbundenen Umwege sind für ihn in der Regel nicht akzeptabel.[11]

 

2. Gleichrangige Kreuzungen (Rechts vor links)

 

Dieser Regelungstyp ist dysfunktional, weil er in keiner Richtung flüssigen Verkehr ermöglicht. Als Motivation dafür wird Verkehrsberuhigung angeführt, I 3. Dies ist aber für sich schon irrig, denn jedes ankommende Auto muß abbremsen und wieder beschleunigen, was zu mehr Lärm und höherem Energieverbrauch führt. Der Radfahrer ist als nicht geräuschverursachend (II 3c) von dieser Regelung stets benachteiligt.

Hierarchielose Regelungstypen sind wegen Ineffizienz grundsätzlich abzulehnen.

 

3. Rechtsabbiegen

 

Das Rechtsabbiegen an rotgeschalteten Ampeln ist grundsätzlich verboten, auch wenn der Verkehr dies entsprechend I 1b ermöglichen würde. Bekanntlich gibt es in der DDR und auch in den USA sogar für Autos an vielen Ampeln diese Lizenz. Der Verkehrsraum wird dadurch besser ausgenutzt, die starre Regelung, I 2b, durch eine simple Maßnahme dem realen Verkehrsfluß angenähert. Für den Radfahrer ist ähnliches um so mehr anzustreben, als er als einspuriges Fahrzeug, II 2a, in den meisten Fällen neben den PKW ohnehin noch Platz hat. Und der Radfahrer ist um so weniger von der starren Regelung zu überzeugen, als er ja nur abzusteigen, also seinen Status zu wechseln braucht, II 1, um die Ampel herumgeht und in der neuen Richtung weiterfährt. Daß dem Verkehr eine solch symbolische Handlung, die nur dem Gesetzesbuchstaben dient, völlig sachfremd bleibt, dürfte einleuchten.

 

4. Linksabbiegen

 

Linksabbiegen ist dann verboten, wenn Linksabbieger den nachfolgenden Verkehr zu sehr stauen würden, weil der Mittelstreifen zu schmal für einen PKW ist. Er ist jedoch nicht zu schmal für den Radfahrer, entsprechend II 2a. Das Linksabbiegeverbot z.B. an der Hohenzollern-/Ecke Winzererstr. ist für Radfahrer sinnlos.

 

5. Mittelstreifenabsperrung

 

Hier wird Linksabbiegen auch baulich unterbunden. Der Autoverkehr hat bis zur nächsten Kreuzung mit Abbiegeberechtigung zu fahren, dort zu wenden und zurückzufahren. Z.B. Arnulfstr./Ecke Birkerstr., Aidenbachstr./Ecke Bäcker-Gundahlstr., Gasteigzufahrt auf der Rosenheimerstr. Derartige Umwege sind für den Radfahrer inakzeptabel. Er wird daher den Radweg der linken Straßenseite in Gegenrichtung benutzen.

 

6. Abgehängte Straßen

Der Extremfall einer Absperrung ist die durch Verbauung gar nicht mehr zugängliche Querstraße, z.B. Denningerstraße stadtauswärts. Es entstehen beträchtliche Umwege.

 

7. Fußgängerzone

Eine Teilnahme des Radfahrers in diesem Bereich scheint zunächst außerhalb der Vorstellung. Tatsächlich jedoch sind Fahrzeuge aus diesem Bereich keineswegs a priori ausgeschlossen. Zu bestimmten Tageszeiten fahren die PKW und LKW der Lieferanten durch die Fußgängerzone. Wegen ihrer Breite müssen sie relativ viel Fußgänger 'verdrängen', fahren also langsam, und wegen ihrer Geräuschhaftigkeit werden sie von diesen auch leicht wahrgenommen.

Ein Fahrrad vermag wegen seiner geringen Breite, II 2, schneller durch Fußgänger zu steuern, ist aber von diesen nicht zu hören, II 3b, und im Falle, daß es den Fußgänger von hinten überholt, nicht wahrnehmbar. Der Radfahrer beobachtet die Bewegungsrichtung der Fußgänger und schätzt ab, wie sie sich weiterbewegen werden. Dies ist dynamische Sicherheit in reiner Form, die Ordnungsleistung nach I 1 b liegt allein beim Radfahrer. Der Unmut, der in der gegenwärtigen Diskussion um die Freigabe der Fußgängerzone zu bestimmten Zeiten für Radfahrer in Befragungen und Leserbriefen auftaucht, rührt offenbar von diesen Faktoren: der Fußgänger bemerkt nach dem Überholtwerden, daß seine Bahn vorausberechnet wurde, d.h. er fühlt sich nachträglich determiniert und der Berechnung, Gnade, Willkür des Radfahrers ausgeliefert. Gegen diese Überlegenheit infolge Sicherheitskompetenz tritt dann leicht das affektive Argument vom 'Rowdytum'. Die relativ rasche Fahrt läßt verkennen, daß sie durchaus mit dem nötigen Maß an (dynamischer) Sicherheit erfolgt. Welche Grade an Virtuosität diese Sicherheit annehmen kann, läßt sich studieren, wenn nach einer Großveranstaltung im Olympiapark die Massen zu U-Bahn und Parkplatz strömen, Fußgänger und Radfahrer scheinbar wirr durcheinander.

Die Öffnung der Fußgängerzone zu den verkehrsschwachen Zeiten bedeutet bessere Ausnutzung von Verkehrsraum und damit eine Flexibilisierung starrer Regelung (nach I 2b). Die Wegersparnis für den Radfahrer ist nicht zu unterschätzen, weil die Fußgängerzonen die zentralen Stadtsegmente vor Verkehrszugang abriegeln und unzugänglich machen. Das gelegentlich zu hörende Argument, die Radfahrer könnten, wie die Fußgänger, hier gleichfalls zu Fuß gehen, verkennt den Sinn von Verkehr. Er besteht auch nicht darin, eine Verkehrsform auf eine andere zu reduzieren, sondern heterogene Verkehrsformen zu vernetzen. Die Fußgänger haben ihre Motive, zu Fuß zu gehen - nämlich zu schauen und zu bummeln, und der Radfahrer hat seine - für den toten Raum möglichst wenig Zeit aufzuwenden und trotzdem spontan überall anhalten zu können. Die heterogenen Motive gehen nicht in einander auf, aber heterogene Verkehrsteilnehmer können zu befriedigender Harmonie vereinigt werden.

 

V. Folgerungen

 

1. Die gegenwärtige Radverkehrsplanung wird ihrem Gegenstand in sehr vieler Hinsicht nicht gerecht. Das resultierende System ist schon im Normalbetrieb ein Sicherheitsrisiko. Sicherheitsreserven bietet es noch viel weniger, und diese sind für den Radfahrer unerläßlich - er hat keine Knautschzone.

Im Besonderen werden auch im Winter Sicherheitsreserven benötigt. Die Zufahrten zu den Radwegen sind unpassierbar, der Trennungsstrich zwischen Rad- und Gehweg unsichtbar, der Platzbedarf des Radfahrers wegen der Unkalkulierbarkeit des Bodens größer, das Platzangebot wegen der Schneewälle jedoch kleiner.

Aber, oh Wunder, de facto funktioniert der Verkehr trotzdem, denn die Radwege sind üblicherweise nicht schneegeräumt, und der Radfahrer benutzt aus Selbsterhaltung ganz einfach die Straßen; kein Autofahrer hat etwas dagegen. Die mörderisch hohen Randsteine werden durch den Schnee geglättet und mühelos befahrbar. Alle Unzuträglichkeiten des Radverkehrsreglements lösen sich in Wohlgefallen auf. Die Veranstaltungen der Straßenbauer und Verkehrsplaner erweisen sich hier als das, was sie sind, als groteske Farce.

 

2. Der Bestand an Radwegen sagt nichts, aber auch gar nichts über die auf ihnen erzielbare Sicherheit aus. Die Kilometer-Anzahl von Radwegen als politisches Argument zu verwenden, geht an der Verkehrsrealität weit vorbei.

 

3. Der Radfahrer möchte von derlei Radwegen verschont bleiben, denn sie sind nicht nur nicht sicherer als der Verkehr auf der Straße, sondern entziehen ihm über kurz oder lang ganz das Recht, sich auf der Straße zu bewegen, denn die Straße kann nach seiner Ausgliederung rücksichtslos autogerecht ausgebaut werden. Neue Fahrbahnaufteilungen sehen so schmale Fahrspuren vor, daß ein Radfahrer keinen Platz neben einem Auto mehr hat. Eine strategische Ausgliederung großen Umfangs findet auf dem Mittleren Ring z.B. Landshuter Allee Richtung Olympiazentrum statt. Bis zur Kreuzung Dachauerstr. gibt es einen Radweg. Von dort aus etwa in die Straßbergerstr. zu kommen, ist nur durch den Olympiapark möglich, und in diesem Wegegewirr den kürzesten Weg zu finden, ist dem Verfasser bis heute nicht gelungen (der Park ist notabene ein verkehrstechnischer Alptraum, oder anders ausgedrückt: überhaupt kein Verkehrsraum). In der Gegenrichtung wird es noch abenteuerlicher, denn der dortige Radweg hört einfach im Nichts auf. Auf Grund dieser frustierenden Erfahrungen bleibt dem Verfasser nur der längere Weg über die Schleißheimerstraße.

 

 Fazit

Es ist verkehrssoziologisch faszinierend, zu beobachten, wie sich die Verkehrspolitik gegen die erdrückende Fülle falsifizierender Fakten immunisiert und hartnäckig ihre ideologischen Konzepte weiterverfolgt. Zwar lassen sich im Laufe der Jahre gewisse Verbesserungen in der Planung feststellen, doch wird auch damit bei weitem nicht jene 'natürliche' Funktionalität, Plausibilität und Konsistenz erreicht, die der Radfahrverkehr auf der Straße hat. Wenn es erst vieljähriger Erfahrung bedarf, bis die Verkehrsplanung bemerkt, daß Niveauunterschiede zwischen Geh- und Radweg ein Sicherheitsrisiko sind - ein Sachverhalt, den jeder Radfahrer beim ersten Male feststellen kann -, erfüllt Planung ihre Aufgabe nicht. Wie lange wird es dauern, bis man die Kurvenradien bis auf ein erträgliches Maß bringt? Der groteske Umstand, daß ein funktionierendes System, Fahrrad auf der Straße, durch ein um Größenordnungen schlechteres, künstliches System ersetzt werden soll, hält den Radfahrer in kaum überbrückbarer Distanz zur Verkehrsregelung.

Der Verfasser plädiert keineswegs für die regelhafte Festschreibung (nach I 1a) dessen, was er gemäß I 1b für möglich und sinnvoll aufgewiesen hat. Da und solange die Planungsbehörde[12] offensichtlich keine Kompetenz in der Beurteilung der Verkehrsdynamik hat und so lange Regelungen, entsprechend I 2b, weitab von der Realität operieren, sollte die individuelle Verantwortung der eigenen Sicherheit nicht unter Strafandrohung stehen, falls sie eine Regel nach I 1 a verletzt. (Aktueller) Verkehr sollte nach seinen Ergebnissen, seiner Effizienz beurteilt werden, und nicht nach der Konformität einzelner Verkehrsvorgänge mit notwendigerweise vereinfachenden und ungenauen Gesetzen.

Im besonderen sollte das Gebot der Radwegbenutzung in eine Empfehlung umgewandelt werden[13]. Wenn die Konsequenz der Verkehrsplanung darin besteht, daß der Radfahrer um jeden nicht gebauten Radweg froh sein muß, müßte diese Planung wohl grundsätzlich überdacht werden. Radwege sind:

1. unnütz, d.h. sie bringen dem Radfahrer keine Vorteile

2. zu teuer, d.h. sie wären selbst dann zu teuer, wenn sie den  vorgeblichen Nutzen hätten. Und sie sind

3. gefährlich durch mannigfache Behinderungen und indem sie Sicherheit suggerieren, die sie nicht bieten können.

 



[0] Viele Beispiele der Überreglementierung täuschen eine höhere Verkehrssicherheit vor. Tilman Bracher, Konzepte für den Radverkehr, bva 1987. S.73. Diese Studie kommt in fast allen Punkten zu den gleichen Ergebnissen wie die hiesige.

 

[1] Der negative Aspekt dieser Zwitternatur, die Unzugehörigkeit, wurde den Radfahrern schon früh zum Verhängnis. Der Radfahrer paßt nicht in die Dichotomie Fahrzeug/Fußgänger. Kutscher und Fußgänger hatten, als das Fahrrad aufkam, die Welt schon zwischen sich aufgeteilt...Beide verteidigten neidisch ihren Besitz und hackten wütend auf den schmächtigen Fremdling los, E. Bertz, Philosophie des Fahrrads. 1900, Neudruck 1984, zitiert nach Bracher, der auch für das bekannt schlechte Verhältnis der Taxifahrer zu den Radfahrern sehr frühe Belege gefunden hat.

 

[2] Fahrgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h auf dem Rad sind deshalb besonders in Großstädten nicht selten, werden jedoch in aller Regel nur auf der asphaltierten Fahrbahn und nicht auf den hierfür ungeeigneten straßenbegleitenden Radwegen realisiert. Bracher a.a.O. S.44.

 

[3] Bisher wird der Grundsatz "Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs" in der Regel nur auf den Kraftfahrzeugverkehr angewandt, obwohl Fußgängerverkehr und Radverkehr streng juristisch gesehen gleichgestellt sind. Auch das geltende Fahrradrecht ist Ausdruck der herrschenden Verkehrspolitik. Bracher a.a.O. S.84.

 

[4] Politiker und Planer, die das Rad bisher nur am Wochenende nutzen, unterschätzen den Alltagsradverkehr...Dies zeigt sich auch in der Masse von Vorschriften, die unsere Gesetzgeber erlassen. Bracher a.a.O. S.50. Bracher profiliert geradezu zwei gegensätzliche Radfahrertypen, die man als 'Amateur' und 'Profi' etikettieren könnte. Deren Anforderungen an die Verkehrsregelung sind sehr unterschiedlich. Nach der in der Technik üblichen worst-case-Abschätzung habe ich meiner Untersuchung den 'Profi' zu Grunde gelegt.

 

[5] Gerade Radfahrer treten zunehmend dafür ein, statt weiter zu "entflechten" den Verkehr lieber wieder stärker zu "mischen" Bracher a.a.O. S.71.

 

[6] Laut Bracher bietet die konsequente Beachtung von Verkehrsregeln Radfahrern keinen Schutz vor Konflikten...Im einen oder anderen Fall dürfte dabei das "regelabweichende Verhalten" sogar konfliktärmer sein als starre Regelbeachtung. A.a.O. S.48

 

[7] Obwohl ein Sicherheitsvorsprung von Straßen mit Radwegen wissenschaftlich nicht nachweisbar ist, werden auch unattraktive Radwege mit dem Argument der - vermeintlich höheren Sicherheit begründet. Tatsächliches Ziel vieler Radwege ist jedoch die Leichtigkeit des Autoverkehrs, denn viele Autofahrer erleben Radfahrer auf der Straße als Störfaktor. Bracher a.a.O. S.46.

 Schon 1983 hat das Innenministerium im Programm zur Umweltentlastung durch Förderung des Fahrradverkehrs festgestellt: Die Radwegebenutzungspflicht in Verbindung mit gebrauchsuntauglichen Fahrradwegen erweist sich als Behinderung und Benachteiligung schnellen Fahrradverkehrs. Solange es solche "Radwege" gibt, wäre die Radwegebenutzungspflicht aufzuheben. (Zitiert nach: Holzapfel/Traube/Ullrich: Autoverkehr 2000. Wege zu einem ökologisch und sozial verträglichen Straßenverkehr. Karlsruhe 1985

 

[8] Notwendig sind - gute Fahrbahnoberflächen (nicht schlechter als auf der parallelen Autofahrbahn) Bracher a.a.O. S.205

 

[9] Zusatz 1988: Im April 1988 wurde dies auch mit wissenschaftlicher Genauigkeit untersucht. Die Arbeitsgruppe Fahrradforschung der Universität Oldenburg formulierte den Mißstand so, daß Radwege und Fahrräder häufig schwingungstechnisch nicht aufeinander abgestimmt seien. Nach Bracher entsprechen Radwege den fahrdynamischen Anforderungen der Radfahrer nicht. (a.a.O. S.46)

 

[10] Zum Kopfsteinpflaster meint die erwähnte Oldenburger Arbeitsgruppe, es erweise sich als besondere Belastung.

 

[11] Bracher a.a.O. S.205: Radverkehr soll in Einbahnstraßen im Regelfall in beiden Richtungen zugelassen werden.

 

[12] Darunter muß inzwischen leider auch die Hydra von Bezirksausschüssen gerechnet werden, die sich regelmäßig durch Verkehrsbehinderungskonzepte hervortun und allein die Fußgängerperspektive zu vertreten scheinen.

 

[13] Viele Radfahrer in- und außerhalb der Radfahrorganisationen sehen in Radwegen und dem verordneten Benutzungszwang inzwischen sogar das Haupthindernis für das Radfahren im Stadtverkehr. Das Fahren auf Radwegen...kann vor allem im Großstadtverkehr Unfälle und Streß verursachen. Bracher a.a.O. S.51. Auch er ist der Überzeugung, daß die Aufhebung der absoluten "Radwegbenutzungspflicht"...dringend notwendig ist. S.53.