Ein Medium sucht seine Botschaft

Es scheint eine natürliche Kapazitätsgrenze für das öffentlich-rechtliche System zu geben; mehr als drei, vier, allenfalls fünf Vollprogramme sind nicht finanzierbar. Und sie sind schlechterdings auch nicht sinnvoll, denn jedes Programm versteht sich ja als in sich vollständig und ausgewogen und universell.

So verfehlt die Verkabelung durch den Monopolisten Post in technischer und ökonomischer Hinsicht ist, hat sie doch das Bewußtsein für den Umfang des Frequenzangebots, das heißt des technisch möglichen Umfangs an Fernsehen auch im terrestrischen Bereich geschärft. Im Nachinein erhärtet sich der Verdacht, daß die Rede von der Frequenzknappheit, die weitere terrestrische Sender nicht zulasse, eher Schutzbehauptung als technische Unausweichlichkeit ist. Es sei nur daran erinnert, daß seit einige Monaten in München plötzliche drei Frequenzen im UKW-Bereich für kommerziellen Hörfunk vorhanden sind (eine vierte belegt der Bayerische Rundfunk selbst mit einem weiteren Programm). Und es werden Fragen laut, ob denn die Vielfachbelegung verschiedener Frquenzen mit dem gleichen Programm so unvermeidlich sei, ferner eine so massive Sendeleistung einzelner Sender, die in weitem Umkreis alles andere erschlägt (angeblich, damit Autofahrer auch in den Straßenschluchten der Großstadt überall genügend Feldstärke bekommen). Und dem Laien wird schwer einsichtig zu machen sein, weshalb im Fernsehen Frequenzen knapp sein sollen, wenn er im VHF-Band von 10 Kanälen zwei, und im UHF-Band von 48 vielleicht ein halbes Dutzend belegt findet.

Eine Klärung dieser technischen Fragwürdigkeiten führt hier zu weit. Worauf es in unserem Zusammenhang ankommt, ist einzig die Feststellung, daß die Hardware des Mediums Rundfunk, gleich ob terrestrische Sende oder Kabelanschluß, wesentlich mehr Software, Programme zuläßt als bisher realisiert sind oder waren. Die Programmvielfalt, die die einen ebenso programmatisch fordern, wie sie die anderen als Todsünde verdammen, ist zunächst keine Sache irgendwelcher Inhalte, sondern zuallererst eine technische Gegebenheit. Im elektromagnetischen Wellenspektrum existiert eine Reihe von Frequenzbändern, die für kommunikative Zwecke nutzbar sind, werden sie auch genutzt werden. Die Natur kennt kein Vakuum, und der Mensch folgt in allen seinen Entwicklungen diesem Gesetz.

Wir erleben zur Zeit die rapide Ausbreitung und Durchsetzung informationsverarbeitender und informationsübertragender Technik. Sie füllt das von den physikalischen Grenzen gebildete Areal aus. Und die Vielzahl der Kanäle wiederum ist von Programmanbietern auszufüllen. Es gibt keine prästabilierte Harmonie zwischen dem Frequenzangebot und den Programminhalten, zwischen dem Übermittlungs-möglichen und dem Übermittlungs-werten. Der Mensch ist in törichtem Hochmut befangen, wenn er glaubt, es könne oder solle gerade so viel Kommunikationskapazität geben, wie er, als Gesellschaft, zu einem bestimmten Zeitpunkt mit 'wertvollem' Inhalt zu füllen im Stande ist.

Ein jedes Medium lebt zu 90% (oder mehr) von Massenware, Füllmaterial, und zu vielleicht 10% vom Prestige kultureller Hochleistungen. Niemand wird unter den 92.000 Neuerscheinungen der letzten Buchmesse auch nur 10.000 'notwendige' Bücher ansetzen; es werden vielleicht nicht einmal 1000 sein, und selbst mit 100 ist die Fassungskraft des normalen Lesers schon überstiegen. Trotzdem wird ohne Unterlaß weiterproduziert. Und wer hielte es für ein Sakrileg, daß Verleger kommerziell denkende Leute sind (notabene: wie sähe ein öffentlich-rechtlicher Buchverlag aus?). In Jahrhunderten haben sich Autoren, Verleger und Publikum aneinander gewöhnt, und das Buch gilt als Hochkulturmedium, obschon es doch ebenso sehr Massenware wie das Fernsehen ist und Marktgesetzen gehorcht.

Immer wieder wird das Buch als die bessere Wahl gegenüber dem Fernsehen erklärt - obwohl doch kein Medium das andere ersetzen soll oder kann. Und immer wieder wird innerhalb des Fernsehens das Angebot an informierenden und bildenden Sendungen dem offenbar unstillbaren und verderblichen Unterhaltungs- und Trivialitätshunger des Publikums entgegengehalten.

Hier macht sich ein Mißverständnis über die Natur des Mediums bemerkbar, ein Mißverständnis, genährt durch den expliziten Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Systems, genährt auch durch die zehnjährige Monopolstellung eines einzigen Fernsehkanals in der Anfangszeit. Das Image der Bevormundung, das die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben - auch der Name 'Anstalt' gilt als ominös -, haben sich jedenfalls die kommerziellen Anbieter zunutze gemacht. Und in einzelnen Programmbereichen ist die Abwerbung von Zuschauern auch bereits gelungen, wie die ersten Statistiken in verkabelten Haushalten zeigen. Daß demnach Kunst- und Kulturmagazine des öffentlich-rechtlichen Fernsehens 50% und politisch-wirtschaftliche Magazine 40% verlieren, wird als dramatisch empfunden, ist aber eigentlich nicht überraschen.

Wir machen uns wahrscheinlich Illusionen über Kultur als gesellschaftlichen Faktor. Kultur ist kein selbstverstärkender Prozeß. Kultur ist das Unwahrscheinliche, das gegen alle Notwendigkeit und gegen das Selbstverständliche inst Werk Gesetzte. Kultur war und ist eine Angelegenheit einer winzigen Minderheit, die nur darum keine verschwindende Minderheit ist, weil sie eine öffentliche und veröffentlichende Minderheit ist. Und nach allem, was wir von menschlicher Gesellschaft wissen, wird die Kultur auch weiterhin eine Eliteangelegenheit bleiben. Eine Demokratisierung der Kultur jedenfalls leistet das Fernsehen nicht schon, weil es ein Massenmedium ist, das heißt ein großes Publikum hat. Kultur ist nicht verteilbar, zumal nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern beruht auf eigenem Willensentscheid, persönlichem Engagement.

Wir wissen offenbar noch zuwenig über das Verhältnis zwischen Hochkultur und Massenkultur und erschrecken daher - als Kulturschaffende - erst beim Fernsehen, das uns die Folgen dieses ungleichen Verhältnisses drastisch vor Augen führt: mit seinem nach Millionen zählenden Publikum und seiner durch Teleskopie sofort ermittelbaren Rezeption. Ein Rezensent, der nie ein Buch von Konsalik oder einen Groschenheftroman aufschlagen würde - trotz ihrer Millionenauflage -, sieht sich ohne weiteres eine beliebige Show oder eine triviale Serie an, um sich dann natürlich über die schlechte Qualität zu entrüsten. Er urteilt über Programme, die nicht für ihn bestimmt sind. Es gibt Sendungen, die nur mit Einschaltquoten zu beurteilen sind, und andere, die auch inhaltliche Kriterien anzulegen erlauben. Das mag zynisch klingen, ist aber wohl eher eine realistische Einschätzung der Lage.

Seit neuerer Zeit existiert sogar eine Form der Rezension, die ganze Fernsehtage oder vielmehr -abende umfaßt, also nicht nur einzelne Sendungen, oder die die Programmlinie einer ganzen Woche zu eruieren versucht. Diese Tendenz geht auf die Beobachtung zurück, daß das Fernsehen nicht nur von Massen, sondern in Massen genossen wird. Das heißt für den Zuschauer besteht der Fernsehabend nicht "aus einem singulären Ereignis", sondern ist "eine Abfolge verschiedener Sendungen, die er mit unterschiedlicher Intensität nutzt" (H.W.Conrad). Das Ideal des selektiven Zuschauers ist also ad acta gelegt und aufgegeben worden.

Die selbe Tendenz prägt sich in der 'Magazinitis' aus (die den Hörfunk noch stärker als das Fernsehen betrifft): das Magazin ist die Sendeform, in der primär der Redakteur oder Moderator auswählt, nicht der Zuschauer/Zuhörer. Das Magazin ist ein kaum gegliedertes Allerlei, ein Warenhaus. Streuung und Zerstreuung heißt das Gestaltungsprinzip. Der Einzelbeitrag ist im Magazin nicht mehr einzeln abrufbar, sondern wird nur noch im Kontinuum des Ganzen rezipiert.

Auf der anderen Seite verstehen sich die Fernsehanstalten nicht mehr als Verteiler von Einzelsendungen in den verschiedenen Sparten, sondern suchen sich als Profile vor dem Zuschauer darzustellen. Die ARD hat sich mit nicht geringem Design-Aufwand kürzlich die 1 als neues Image zugelegt - das heißt, man will die Nr. 1 sein. Das ZDF wirbt mit "ZDF - Ihr Programm", das heißt, man unterstellt, der Zuschauer möchte Sendungen nur deshalb sehen, weil es Sendungen des ZDF sind. Dem 'selektiven Zuschauer' erscheinen solche Profilierungsversuche lächerlich und unsinnig, aber im Massenmarkt sind sie offenbar unvermeidlich. Genauso unsinnig und genau dem selben Profilierungsbedürfnis entsprungen sind die vor einiger Zeit eingeführten Logogramme, Einblendungen der Sendeanstalt ins Programm. Dem Zuschauer, der an einer Einzelsendung interessiert ist, wird es völlig gleich sein, auf welchem Kanal er sie empfängt; er will sie ja nur überhaupt empfangen.

Jener oben erwähnte Rezensent, der einen ganzen Fernsehabend absolviert, darin natürlich im wesentlichen Schrott findet und darüber schreibt, sitzt wieder einem Mißverständnis auf. Der Normalzuschauer, der den durchschnittlichen Fernsehabend absitzt und für den das Fernsehen seine "kontinuierliche Struktur" hat, schreibt nicht darüber. Will sagen: ein Fernsehab3end, als Aneinanderreihung verschiedener Sendungen, als Rezeptionsvorgang, der von Freizeitüberhand und Entspannungsbedürfnis bestimmt wird, läßt sich nicht mit den an eine Einzelsendung anlegbaren Kriterien messen. Der Rezensent ist hier am falschen Ort. Als "Kulturarbeiter" steht er von vornherein auf einem anderen Niveau als der Normalzuschauer und hat implizit ein anderes Interesse.

Müssen wir also über das Fernsehen, wie Dante über die Hölle, das Spruchband setzen Laßt alle Hoffnung, wenn ihr eingetreten; müssen wir jeden Anspruch auf Qualität aufgeben? Tatsächlich sind die Aussichten nicht erfreulich. An der Trivialität der kommerziellen Programme ist kaum ein Zweifel möglich, und die Selbsttrivialisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist gegenwärtig in aller Ausführlichkeit zu besichtigen. Was die Vielen interessiert, muß offenbar auf einem sehr kleinen gemeinsamen Nenner angesiedelt sein. Und nur, was die Vielen zu interessieren vermag, ist kommerziell lohnend. Die Bewährung auf dem Markt der Informationen ist das, was jedes Medium anstreben muß; dies schließt nicht aus, daß in diesem Markt auch andere Gesichtspunkte als diejenigen der Kapitalinteressen wirksam werden oder wirksam gemacht werden müssen.

Zunächst freilich erscheint das öffentlich-rechtliche Fernsehen als künstliche Klimazone, für deren Erhaltung zwar jeder kulturell Interessierte eintreten wird, die sich aber nicht auf das ganze Feld der Medien ausdehnen läßt. Im zukünftigen Fernsehen wird die Kultur den Anteil und die Bedeutung innehaben, den sie in der Gesamtgesellschaft hat.

Einige Hoffnung mag man auf Spartenprogramme setzen. Das heißt, es könnte nicht nur den Typus des universellen, integrativen Programms geben, sondern auch solche, die sich auf ein Feld beschränken, also etwa: Musik - U oder E -, Theater, Sport. Welches Spektrum sich am Ende aber aus einer Reihe von Programmen ergibt und welche Außenpluralität sich herstellt, läßt sich schwer vorhersagen.

Das Fernsehen ist, wie jedes Medium, nicht direkt steuerbar - außer, bis zu einem gewissen Grade, durch diktatorische Maßnahmen. Es entwickelt, innerhalb des technisch vorgegebenen Rahmens, seine eigene Semantik. Wir können seine Auswirkungen auf den Menschen für höchst schädlich und gefährlich halten, mit den besten Gründen, versteht sich; wir können die Verluste auch bereits im Einzelnen belegen, z.B. das Verschwinden der Kindheit, wie ein berühmter Medienökologe es getan hat. Aber eben jene Einordnung der Entwicklung in einen epochalen Zusammenhang und die Beobachtung der Wechselwirkung von technischen Bedingungen und Welt- und Menschenbild macht es auch unmöglich, moralische Wertungen vorzunehmen. Kindheit, Belesenheit ('Bildung'), Diskursivität, usw. sind keine Werte an sich, sondern historisch bedingte Erscheinungen.

 Mit Appellen an die inhaltliche Ausgestaltung des Mediums, mit Wünschen, wie es sein und wie es nicht sein sollte, läßt sich überhaupt nichts erreichen. Die Gesellschaft hat genau das Medium, das sie verdient. das ihr angemessen ist. Das Medium ist tatsächlich nur Mittler, greift das auf, was es im gesellschaftlichen Bewußtsein vorfindet. Insofern ist es inhaltsneutral.

Nicht neutral, sondern revolutionär ist seine formale Struktur, d.h. das mediale Gerüst selbst: die Möglichkeit, bewegte und tonbegleitete Bilder mit hinreichender Wirklichkeitsähnlichkeit allgemein und überallzu verbreiten. Mit dieser Wahrnehmungsänderung, mit der grundsätzlichen Möglichkeit zur Erzeugung künstlicher Welten müssen wir uns auseinandersetzen und sie anthropologisch reflektieren.

Naiv ausgedrückt: der Mensch hätte sich zu überlegen, wie er mit der ihm gleichsam von Natur aus gegebenen Fähigkeit, künstliche Welten hervorzubringen (zu deren erster wir Sprache und Bewußtsein rechnen) fertig werden will. De facto ist die Reihenfolge natürlich umgekehrt: der Mensch steht vor vollendeten Tatsachen und hat diese seinem (bisherigen) Bild von sich "harmonisch" einzuverleiben.

Nur in anthropologischer Dimension ist die Frage nach dem Medium und seiner etwaigen Botschaft sinnvoll, denn sonst sind Einwände ja stets mit dem Hinweis auf den Abschaltknopf abzuwehren: wem das Programm nicht passe, der könne abschalten; niemand werde zum Fernsehen gezwungen. Dieser Hinweis ist zwar unwiderlegbar, aber doch nur formal richtig, denn Zuschauer und Fernseher bilden sich ja nicht unabhängig von einander, und das erklärte Ziel des Fernsehens besteht offenbar auch nicht darin, nicht gesehen zu werden.

Man muß also davon ausgehen, daß durch Medien bestimmte Bedürfnisse des Menschen befriedigt werden und dasß jedes Medium eine andere Form von Welt repräsentiert und erfahrbar macht. Aus der Summe der medialen und der faktischen Erfahrungen setzt sich für den Einzelmenschen Welt zusammen, und im Wechselwirken mit ihr entwickelt er sich als Individuum.

Medien entstehen im Schnittpunkt von technischer Möglichkeit und gesellschaftlichem Bedürfnis, sind also sowohl Gegebenheiten (Vorgefundenes), wie Gewolltes. Und daß beim Menschen zwischen dem, was er will, und dem, was er tut, keine Übereinstimmung herrscht, ist eine anthropologische Grundeinsicht.

Gerhard Bachleitner