Filmsynchronisation

 

 

In: Video. Stgt. 1988

 

 

Mittlerweile gehört es zum guten Ton, über die deutschen Filmsynchronisationen die Nase zu rümpfen. Kaum eine Rezension, in der nicht darüber gelästert wird. Wer auf sich hält, sieht sich Originalfassungen an oder glaubt zumindest, dies tun zu müssen. In Wirklichkeit haben wir es hier lediglich mit einer modischen Attitüde zu tun, einem arroganten Snobismus, von dem man keineswegs einschüchtern zu lassen braucht. Wer Synchronisationen verlangt, hat die besten Gründe dafür.

Idealtypisch schafft Synchronisation ein zweites Original. Die Verluste, die sich, wie bei jeder Übersetzung, ergeben, sind nicht größer als bei jeder anderen Übersetzung auch. Es handelt sich nicht um Lyrik, also phonematisch kritische Sprache, sondern um schlichte Prosa. Natürlich lassen sich nicht alle idiomatischen Wendungen und Wortspiele übersetzen, aber diese Fälle machen, aufs Ganze gesehen, nur einen verschwindend geringen Teil aus. Der Inhalt einer Übersetzung ist also, die gehörige Sorgfalt beim Übersetzer vorausgesetzt, unproblematisch. Der gewöhnliche Zuschauer kann erwarten, daß der Fachmann seine Aufgabe wesentlich besser bewältigt, als er selbst es könnte; da wir uns in einer arbeitsteiligen Gesellschaft befinden, ist die Delegation von Arbeit etwas völlig normales.

Davon zu trennen ist die Praxis, Filmdialoge bewußt anders zu textieren. Beispiele sind bekannt. Dafür ist nicht die Synchronisation als Synchronisation verantwortlich zu machen; hier wird vom Verleih eine politische Entscheidung getroffen, die mit den gleichen Kriterien wie Zensur überhaupt zu messen ist.

Eine Frage der Marktstrategie sind jene vergröbernden, vulgarisierenden Synchronisationen, die man bei B-Filmen früher gelegentlich antreffen konnte. Ob man sich über solchen schlechten Geschmack aufregt oder den Schaden für vernachlässigbar hält, ist letztlich eine Sache des eigenen Temperaments. Im übrigen kennt man auch Fälle, wo die Synchronisation ein flaues Original aufgewertet hat.

Die Sychronstimme kann nicht die gleiche Stimmfarbe wie die Originalstimme haben, kann ihr nur ähneln. Dies scheint der erheblichste Verlust bei Synchronisationen zu sein. Ansonsten unterliegt die Gestaltung des Synchronparts den gleichen Anforderungen wie an die Schauspielerei. Der Synchronsprecher ist nachschaffender Künstler und insofern in einem Interpretationsspektrum angesiedelt. Wenn Geräusche nachsynchronisiert werden müssen, sind Authentizitätseinbußen möglich, aber dies ist heute ja nicht der Regelfall.

Welche Konsequenzen hätte demgegenüber die Forderung nach Originalfassungen?

Eine Originalfassung mit Untertiteln, OmU, ist für den Zuschauer recht beschwerlich. Er muß ständig auf die Untertitelzeile fixiert bleiben, kann dem Bild nicht die nötige Aufmerksamkeit schenken, und die Zuordnung des Textes zu den Personen verlangt kombinatorische Anstrengung. Inhaltlich hat OmU keinen Vorzug gegenüber der Synchronfassung; alles, was geschrieben werden kann, kann auch gesprochen werden. Aber manchmal läßt sich nicht alles, was gesprochen werden kann, auch schreiben, dann nämlich, wenn man nicht so schnell lesen kann. Der Videobenutzer wird schließlich die Möglichkeit vermissen, sich von der strengen Bindung an den Bildschirm zu lösen; Fernsehen wird bekanntlich anders als Kino rezipiert.

Die Amerikaner wissen sehr wohl, weshalb sie keine OmU-Filme mögen; sie sind ihnen im Wortsinne befremdend. Dieses Verfahren beeinträchtigt den Illusionscharakter des Films. Bei den Amerikanern ist das Bewußtsein der eigenen kulturellen Identität sogar so groß, daß sie die Fremdheit des Stoffes von sich weisen. Am französischen Film 3 Männer und ein Baby wurde keineswegs das Original gefeiert, sondern man drehte den gleichen Stoff nach eigener Mentalität neu. Ebenso wurden John Badhams Codename Nina nach Luc Bessons Nikita und Stan Dragotis Der Verrückte mit dem Geigenkasten nach Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh mit Pierre Richard gefertigt. Lelouchs Glückliches Jahr übertrug Avildsen als Happy New Year ins Amerikanische, Die Flüchtigen wurden als Das Bankentrio neuverfilmt. aus der Wiederkehr des Martin Guerre entstand das Bürgerkriegsmelodram Sommersby.

Wenn es denn schon keine nennenswerte deutsche Filmindustrie mehr gibt, d.h. einheimisches Kino, das in eigener Sprache Welt wahrnimmt, ist doch die Synchronisation noch ein Rest eigener Leistung, ein Rest Illusionsvermittlung, der dem Kinogänger die nackte Grausamkeit der Importware mildert. Wenn die Holländer keine eigenen Synchronisationen haben, ist das kein Zeichen cineastischer Mustergültigkeit, sondern einfach Folge ihres zu kleinen Sprachgebietes. Wir sollten froh sein, daß hierzulande noch synchronisiert wird, daß man es also für nötig hält, das Volk in seiner eigenen Sprache anzureden.

Was könnte eine OoU rechtfertigen?

Sie setzt außerordentliche Kenntnisse der fremden Sprache voraus, Kenntnisse, die nur bei wenigen erwartet werden können. Ein Verleih wagt es in Deutschland in aller Regel nicht, eine Pressevorführung etwa in Französisch ohne Untertitel anzusetzen. Man weiß, daß diese Sprache zu wenig verstanden wird. Beim Englischen glaubt man, hinreichende Kenntnis voraussetzen zu können. Indes hat kürzlich die Soziologin Helga de la Motte bei Autoradio-Hörer festgestellt, daß ein Großteil nur phonetische Konsumenten englischsprachiger Lieder sind, sie also nicht verstehen. Wie sollte man beim Kino anderes erwarten können?

Ein Filmkritiker mokierte sich kürzlich über die Synchronisation von Good morning, Vietnam und empfahl die OoU. Hier besteht dringender Genieverdacht. Der Mann müßte sofort als Star-Dolmetscher anfangen. Wer einmal auf Kongressen miterlebt hat, wie schwierig simultanes Dolmetschen selbst für hochqualifizierte Profis ist, der kann die Leistung, extrem idiomatische Fremdsprache simultan zu übersetzen, gar nicht hoch genug einschätzen. Ich selbst habe in der Schule 6 Jahre Englisch gelernt, lese gelegentlich ein englisches Buch, habe auch schon aus Fachliteratur und Lyrik übersetzt. Doch dies alles reicht bei weitem nicht für das Verstehen irgendeines amerikanischen Films. Folgerung: einen Film, den ich nur im Original und nicht auf Deutsch gesehen habe, habe ich nicht gesehen.

Folgen wir einem jener Filmkritiker und Überlinguisten doch ins Detail. Die Übersetzung des Verbums pussy in den Hexen von Eastwick wird moniert. Über Bedeutung und Gebrauch des Wortes pussy könnte (und müßte) ein Anglist wahrscheinlich eine Abhandlung schreiben. Wie sollte ein nur mit gewöhnlichem Englisch aufgewachsener Normalverbraucher hier kompetent sein? In meinem (Hand-)Wörterbuch - keineswegs ein kleines - finde ich als Bedeutung nur das Substantiv Miezekatze. Wenn also van Hornes I prefer pussy mit bevorzuge ein kleines Nümmerchen übersetzt wird, ist das schon sehr deutlich und mitnichten entschärfend. Sicherlich hat pussy eine etymologische Verwandtschaft zum französischen poussieren, das im Deutschen ja lange Zeit für einen ganz ähnlichen Sachverhalt verwendet wurde. Pussy ist im Englischen offensichtlich genauso euphemistisch und indirekt wie poussieren. Insofern ist jene Synchronübersetzung genau angemessen und im übrigen auch zeitgemäß.

Aber derlei Dinge sind - machen wir uns das klar - weit jenseits des Wahrnehmungshorizontes des Normalzuschauers und sollen es auch bleiben; (oder soll er klüger als sein Wörterbuch sein müssen?). Es sind Diskussionsgegenstände für Linguisten.

Wenn gehäuftes Fuck - in Blue Velvet - im Deutschen schlecht oder unsinnig klingt, kann man das nicht der Sprache anlasten; hier verwendet man zum Fluchen eben andere Wörter. Solche Kritik liefe darauf hinaus, dem Deutschen vorzuwerfen, daß es nicht gleich dem Englischen sei - eine völlig inhaltsleere Feststellung. Der Reiz verschiedener Sprachen besteht ja gerade darin, daß in ihnen verschiedene Dinge gesagt werden können.

Auch Dialektfärbungen können in einer Übersetzung sinnvoll angebracht werden - trotz des Bedeutungsunterschiedes von Dialekt: im Deutschen ein regionales, im Angelsächsischen ein schichtenspezifisches Kriterium. 1925 hat Else Graffe-Richthofen das australische Englisch in einem Roman von D.H. Lawrence in fortgesetzter Fühlung mit dem Autor durch eine berlinerische Note wiedergegeben. Im Billy Wilders Film Buddy, Buddy läßt man Klaus Kinski in der Rolle des Dr. Zuckerbrot sächseln. Das ist ein durchaus legitimes Mittel zur Karikierung und Charakterisierung einer Person.

Was wäre ein legitimer Reiz an der Originalstimme?

Selbst der bloße Klang ist nicht ohne Übersetzung, will sagen: Decodierung, aufzunehmen. Stimmlagen, Sprechgeschwindigkeiten, Sprachmelodien bedeuten nicht in jeder Sprache das gleiche; d.h. man kann sie nicht ohne Vorwissen bewerten. Eine englische Frauenstimme, die für deutsche Ohren hoch und schrill klingt, liegt im englischen Sprachraum möglicherweise durchaus innerhalb der Toleranzgrenze. Was dem Deutschen an Französisch genuschelt erscheint, hört der Franzose vielleicht ganz klar. Das Keuchend-Abgehackte und den scheinbar willkürlichen und jähen Tonhöhenwechsel, die wir an japanischem Tonfall wahrnehmen, klingen für Japaner vielleicht wie entspannte Rede. Nicht einmal die schiere Phonetik liefert also interpretationsfreie Basisinformation.

Auch die Synchronisation von Gesang läßt sich rechtfertigen, insofern es nicht um musikalisch-künstlerische Qualitäten geht. Daß bei Trickfilmen, die für Kinder gedacht sind, alles synchronisiert werden muß, versteht sich von selbst. Die Kinder lernen ja gerade erst das Lesen und wären mit OmU weit überfordert. Daß die Liedtexte in Feivel, der Mauswanderer unzumutbar sein, d.h. mehr als nötig vom Original abweichen sollen, wäre erst noch zu beweisen. Im übrigen scheint man es gar nicht mehr für möglich zu halten, daß in Deutsch auch gesungen werden kann. Selbst deutsche Filme führen meist schon eine englische Titel-Nummer im soundtrack. Wie kurios muß gegen die gewohnte bedeutungslose Klangtapete etwas wirken, das man versteht!

Der Kampf gegen Synchronisationen1 trägt - gelinde gesagt - münchhausen'sche Züge; er verstrickt sich in einen logischen Fehlschluß. Was verstanden werden kann, ist auch übersetzbar. Was nicht übersetzbar ist, wurde auch nicht verstanden. Noch kürzer: was nicht gesagt werden kann, kann nicht gesagt werden; es existiert schlechterdings nicht als Bedeutung, nämlich als Bezug einer Aussage zu einem Sachverhalt. An irgendeiner Stelle des semantischen Prozesses muß die Übertragung ins eigene Sprachsystem erfolgen - ob im Synchronstudio oder im Kopf des Zuschauers. Die Übersetzung ist unaufhebbar in die Rezeption einer fremden Sprache eingebaut - sonst hat man nur belanglose Schallereignisse.

Jede Einzelkritik an Synchronisationen setzt das Verständnis des fremden Textes schon voraus und bestätigt damit implizit die Möglichkeit der Übersetzung. Ebendas, was dabei verhandelt wird, ließe sich stets auch in der Synchronisation selbst realisieren.

Man kann nicht einerseits davon schwärmen, wie liebevoll oder poetisch diese oder jene Passage im Original sei, und gleichzeitig behaupten, sie ließe sich nicht ins Deutsche übertragen. Die Wahrnehmung jener Qualitäten ist nur aufgrund von Übersetzung möglich!

OoU und OmU sind nur für Filmphilologen unerläßlich. Natürlich können auch interessierte Laien daran ihre Kenntnisse zu erweitern suchen, vergleichbar dem Musikfreund, der mit der Partitur ins Konzert geht. Dies aber für verpflichtend oder alleinseligmachend zu erklären, wäre grundsätzlich abwegig.

 


  Z.B. Josef Joffe: Brief aus dem Kino - "Alles o.k. mit dir?". In: SZ 4.1.1992 S.78

 

 

 

Gerhard Bachleitner