Welche Themen reizen junge Regisseure heute, welche neue Formen entwickeln sie? Beim 6. Internationalen Festival der Filmhochschulen in München bot sich die Möglichkeit zum Blick in die Nachwuchsschmieden: 32 Schulen aus Europa, Amerika und Nahost zeigten 131 ausgewählte Filme ihrer Studentinnen und Studenten.

Ins Schwärmen geraten konnte man bei diesem einwöchigen Mammutprogramm (2.-9.November) selten. Wie bei solchen Festivals üblich, sind 90 Prozent der Arbeiten für ein größeres Publikum belanglos, doch die restlichen zehn Prozent verdienen durchaus Beachtung. Überraschend war die hohe technische Qualität des Großteils der Filme. Die Nachwuchsregisseure orientierten sich bereitwillig am konventionellen Rüstzeug der Film- und Fernsehindustrie, an deren technischen Qualitätsansprüchen und Methoden. Perfektion im traditionellen Filmhandwerk, der geradlinigste Weg zu einer gesicherten beruflichen Existenz in diesem Metier, genoß einen hohen Stellenwert. Die Kehrseite der Medaille: wenige Regisseure zeigten den Mut, in Form und Stil ein Risiko einzugehen. Erfreulich waren in dieser Hinsicht die Arbeiten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin-West (DFFB), die sich auch mit experimentellen Videos außerhalb des Wettbewerbs präsentierte. Das ästhetische Vorbild lieferten erwartungsgemäß drei US-amerikanische Filmschulen, in diesem Jahr ebenso wie die Hochschule für Film und Fernsehen aus Potsdam-Babelsberg (DDR) erstmalig beim Münchner Festival vertreten. Schweizer Filmemacher fehlten auf dem Festival, da die Schweiz über keine eigene Hochschule verfügt. Natürlich können unerfahrene Regisseure die eingefahrenen Dramaturgie- und Produktionsmechanismen der Filmindustrie nicht aus den Angeln heben, ohne ihre berufliche Zukunft aufs Spiel zu setzen. Doch ein wenig mehr spielerischer Umgang mit der Filmsprache, etwas mehr Lust am Experiment hätte man erwarten dürfen. Der Rückgriff auf traditionelle Erzählformen des (amerikanischen) Kinos wirkte natürlich auch auf die Wahl der Inhalte und den Umgang mit den Figuren. Hier lassen sich die Arbeiten vorsichtig in zwei Lager teilen: diesseits und jenseits des Eisernen Vorhang. Persönliche Beteiligung und Interesse an Menschen zeigten vor allem die Polen, Tschechen und Ungarn in ihren Filmen, warmherzige und anrührende Geschichten fanden sich bei ihnen weit häufiger. Ein Kriterium der Jury unter dem Vorsitz des Regisseurs George Moorse (Kuckucksjahre, Lenz) war "die emotionale Intensität, die in das Werk investiert wurde". So kam es nicht von ungefähr, daß die Juroren gerade wegen der spürbaren emotionalen Beteiligung zwei der vier gleichberechtigten Preise an Filme von Hochschulen aus Lodz und Budapest vergaben. Die westlichen Arbeiten hingegen wirkten insgesamt merklich kühler, und manche Filmfiguren erinnerten in ihrer Unverbindlichkeit eher an Leihgaben aus Hollywood-Filmen oder Reklamestudios. Es hatte den Anschein, daß die Wirklichkeit aus zweiter Hand, via Fernsehen und Kino, erfahren wurde, sich die Allgegenwart der audiovisuellen Medien als Filter zwischen Wirklichkeit und filmischer Gestaltung schiebt. Daß auch kalte, perfektionistische Filme ihre Anhänger finden, beweist ein Preis für einen technisch exzellenten, aber sterilen englisch-französischen Film über ein Kind, das einen Spielkameraden aus Unachtsamkeit mit einer Boule-Kugel verletzt. Überhaupt war bei der Auswahl der Inhalte die Vielzahl an Kinder- und Jugendfilmen beziehungsweise an Filmen über Kindheit und Jugend auffällig. Das Alter der Regisseure und Regisseurinnen lag zwischen Anfang 20 und Mitte 30. Insofern ist es leicht nachvollziehbar, daß man gerne an persönliche Erfahrungen anknüpfte. "Viele Studenten wollen sich über den Film erst kennenlernen, betrachten ihn als tiefenpsychologisches Medium", meinte Hans Beller, Dozent an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF). Viel Applaus erntete eine Produktion der Tel Aviv University über die Begegnung eines Israeli mit einem Araber. Der Bayerische Rundfunk fand drei der vier Arbeiten dieser Schule bemerkenswert genug, um sie anzukaufen. Hervorzuheben sind auch einige englische Beiträge, die den trockenen Humor der Briten glänzend herausarbeiteten. Was aber bleibt zum bundesdeutschen Nachwuchs zu sagen, der hierzulande Kino und Fernsehen der 90er Jahre mitgestalten wird? Die Experimentierfreudigkeit der DFFB wurde schon erwähnt. Und auch der gastgebenden HFF kann man getrost einige originelle Einfälle und ein hohes Maß an handwerklichen Fähigkeiten nachsagen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen oder politischen Themen konnte man angesichts des Dokumentarfilmsterbens ja nicht erwarten. Vielleicht könnte sich aber vielleicht gerade die HFF mehr mit Menschen als mit Typen befassen, auch wenn sich Münchner wie Helmut Dietl (Kir Royal) und die HFF-Absolventin Doris Dörrie (Männer, Paradies) so hervorragend auf diese Art Film verstehen.

 

Rainer Tief/Gerhard Bachleitner