30.5.08

Konzert der Münchner Philharmoniker in der Philharmonie mit Hartmut Haenchen

Haydn nützt seine Sinfonie Nr. 80 von 1784, eine der wenigen Moll-Sinfonien, zu charakteristischen Experimenten. Im Kopfsatz fallen gewundene Modulationsverläufe auf - der Seitensatz in regelgerechtem F-Dur wird schon in der Exposition zu f-Moll verdüstert, in der Durchführung ist nach dem Des-Dur ihres Beginn gewissermaßen alles möglich -, und Generalpausen, T. 65f, 118f, Fermate T. 146, stocken den Fortgang immer wieder, provozieren Nachdenken. Das Adagio greift auf eines der Sieben letzten Worte voraus. Das grimmige Menuett, auch metrisch mit einem 12taktigen A-Teil widerspenstig, läßt das Ende des höfischen Tanzes vorausahnen. Im Finale entging Haenchen der von Haydn aufgestellten Falle der Presto-Überschrift nicht ganz: der Verführung des Beginns, ein zu rasches Tempo zu wählen. Sobald nämlich die 16tel loslaufen, T. 32, sind die Geiger überfordert und laufen dem Metrum ein wenig, aber merklich hinterher. Die rhythmisch intrikate Aufteilung zwischen Bläsern und Streichern - z.B. T. 55-67, 110-122 - heischt vollkommene Präzision und fällt bei jeder kleinen Verschiebung oder Undeutlichkeit in sich zusammen. Dieses Finale ist kein billiger Rausschmeißer, sondern ein hochartifizielles, schwieriges Gebilde, das alle Aufmerksamkeit fordert.

Bartoks einaktige Oper Herzog Blaubarts Burg konzertant aufzuführen, scheint nahe zu liegen, da sie kaum Handlung aufweist, nur stilisierte Dialoge. Trotzdem ist hier bald ein Mangel zu verspüren, weil die Oper zumindest die Bühne als Handlungsraum braucht, auch wenn der Raum leer bleibt. Vor dem Orchester stehende Sänger sind keine Akteure, und der Blick auf das üppige Orchester zeigt zwar die Maschinerie, verweigert aber den Organismus, der daraus gebildet werden müßte. Die Musik durchmißt so ausgedehnte und verschiedene Räume, daß diese auch sichtbar werden müssen. Schon der Antagonismus der Geschlechter benötigt Positionen im Raum, zwischen denen sich Spannung aufbauen kann, und die visionäre Kraft der Musik eine Projektionsfläche auf der Bühne, wennschon nicht eine ausgeführte Verbildlichung.

Das von Perrault über Maeterlinck bis zum ungarischen Librettisten Bela Balazs (Herbert Bauer) weitergereichte Märchen hat zwar an Psychologie gewonnen, doch was an Handlungsplausibilität verloren wurde, ist durch symbolische Verdichtung nicht ganz wettgemacht. Die platte Geschichte von dem Frauenmörder, der dann von den Brüdern der letzten Frau hingerichtet wird, ist eine barocke Moritat, die im Fin-de-siecle lächerlich wäre. Dort muß erst einmal durch Verräumlichung der Seele ein neuer Interaktionsraum geschaffen werden. Tatsächlich ist anthropologisch seit dem Barock so viel Seele dazugekommen, daß um 1900 eine Seelenwissenschaft nötig geworden ist, die mit topologischen Metaphern arbeitet, und in der Kunst Seelenräume gestaltbar geworden sind.

Eine Zuordnung von Raum und Person gab es zwar schon früher, aber bemerkenswerterweise in entgegengesetzter Ausprägung. Das Frauenzimmer ist einerseits eine Person, verweist aber zugleich darauf, daß die Gestaltung von Innen- und Gefühlsräumen als dezidiert weibliche Aufgabe verstanden wurde. Das Zimmer ist weiblich, als bergendes Gehäuse, als Intimitätsbezirk und als Schmuckaufgabe, als ästhetisches Projekt. Vor diesem kulturhistorischen Hintergrund wirkt die symbolistische Neufassung des Stoffes ziemlich patriarchalisch: der Mann als unumschränkter Herrscher über Raum und Zeit, Strukturbildner und Perspektivenschöpfer. Judith, die Frau, kommt gewissermaßen als Bittstellerin zu Blaubart. Für die Ermordung der vorangegangenen Frauen gibt es keinen Grund mehr (Perrault hatte zwar auch keinen genannt, doch darf man Sadismus unterstellen, oder das, was man früher "Lustmord" nannte). Bartoks Blaubart wird eine seelische Verschlossenheit unterstellt (und die frühere Grausamkeit zu Düsternis gedämpft), zu deren Aufhebung die Frau berufen sei. Das aber ist eine falsche Konstellation, denn wenn ihn sein Naturell nicht daran gehindert hat, vorher schon sechs Frauen für sich zu gewinnen, braucht er auch keine siebte, ihn zu therapieren. Oder anders ausgedrückt: eine Frau, die sich ihm so unterwürfig nähert, wie in dieser Konstellation, hat gar nicht die Statur, ihn zu bereichern oder zumindest so weit zu interessieren, daß er sie umbrächte.

Der Symbolismus verfügt also über keine arbeitsfähige Psychologie, auch wenn er den Anschein zu erwecken scheint, und sich Freuds Traumdeutung dann der Symbole bedient. Es bleibt bei einem für ästhetisch erklärten Arrangement von Konstellationen und Bildern im symbolischen Raum. Die erwähnte patriarchalische Grundlage läßt sich beispielsweise am Motiv des Frageverbotes detaillieren. Blaubart verhängt ein Frageverbot, und Judiths Annäherungstrieb scheint sich just aus diesem Frage- und Erkenntnisbedürfnis zu speisen. Lohengrins Warnung nie sollst du mich befragen! steht hier im Raume. Blaubart beansprucht zwar keine göttliche Abkunft mehr und hat hier nicht einmal mehr wirkliche Leichen im Keller, sondern nur noch Gefangene, Aber als Mann hat er "Vergangenheit" (der Fliegende Holländer sogar beliebig langdauernde/viele), während die Frau stets in der ewigen Gegenwart des Vegetativen lebt. Man sieht das auch in einem anderen Motiv der Frühromantik, der Undine/Melusine, jener Kindfrau, die ihre schicksalslose Unsterblichkeit für ein wenig Geschichte vermittels Gemeinsamkeit mit einem Manne eintauscht.

Blaubart verfügt über ein Universum von Bezügen und ist Herr der/seiner Welt, Judith bringt als einziges Gut ihre Frage und vielleicht ihren Leib mit. Wirkliches Begehren kommt für Blaubart jedoch kaum mehr in Frage. Statt dessen zieht sich Balazs gewissermaßen auf eine Jugendstilblüte zurück, ordnet die letzten vier Frauen den vier Tageszeiten zu, allegorisiert und mythologisiert sie. Judith erhält das Geschmeide der Nacht und sieht sich gewissermaßen in den Sternhimmel versetzt. So sanktioniert/illuminiert Blaubart seine seelische Nacht. Die Widersprüchlichkeit der so entkernten Geschichte ist schon mit der Wahl der seelischen Räume statuiert. Der fünfte Raum enthält ja bereits alles, was Judith sich wünschen mag und als ihren Anteil hätte mitbringen wollen. "Achte meiner Feste, heller wird sie nimmer" (vor 86), gibt Blaubart zu bedenken.

B. Bartok: Herzog Blaubarts Burg. Kl.A. UE 1963


(Gerhard Bachleitner)