Endzeit und Aufbruch - Die Münchner Philharmoniker mit Bruckner und Strauss

 

Valery Gergiev nahm sich in der Philharmonie den Kernbestand deutscher Sinfonik des späten 19. Jhdts. vor und konnte Verbindungslinien aufzeigen. Richard Strauss' Orchesterbehandlung und Sujet ist in seinem Zarathustra zwar viel illustrativer und "außengeleiteter" als Bruckners monumentale Strenge in seiner 9. Sinfonie, läßt sich aber doch als Fortsetzung dieser Tradition verstehen. Das Tanzlied bei Strauss enthüllt unversehens seinen Vorläufer im Ab-Abschnitt (Buchstabe E) von Bruckners Scherzo, und die vielfach geteilten Streicher im As-Dur-Andachtslied der Hinterweltler finden wir in Bruckners Adagio etwa bei G oder L vorgebildet.

Gergiev bewältigte die Phantastik und Gottesleugnung von Nietzsches Pamphlet ebenso gut wie die sakrale Intention von Bruckners letzter Sinfonie, die, ihrer Widmung an den lieben Gott zum Trotz, eine eher dämonische, unheilige Welt schildert. Der klangliche Aufwand, u.a. mit zehn Kontrabässen, war dafür allemal gerechtfertigt. Im Detail fehlte den Philharmonikern, vor allem beim Strauss, wohl jene letzte Geschmeidigkeit und Selbstver­ständlichkeit, wie man sie von den Wiener Philharmonikern hören könnte. Bezeichnend hierfür etwa der Schluß des Zarathustra, wo die Holzbläser in H-Dur den Geist und die Streicher in C-Dur die Natur repräsentieren. Der Geist klang hier nicht ätherisch-vergeistigt, sondern angestrengt und ein wenig scharf. Auch das Tanzlied dürfte durchaus etwas schmissiger tänzeln.

Im Kopfsatz der Bruckner-Sinfonie überraschte Gergiev mit einem streng und unnach­giebig musizierten zweiten Thema, das wie ein in betonierte Ufer gefaßter Fluß daherkam. Dies überraschte auch insofern, als er sich sonst Gelegenheiten zu düsterer Unerbitt­lichkeit entgehen ließ, etwa bei dem als Marcia funebre zu verstehenden Abschnitt der Kopfsatzdurchführung (Buchstabe O), oder wenn er beim Anlauf zum ersten Thema (Buchstabe A) einen Anflug von stringendo fühlen läßt, der dort nicht statthaft ist. Der Vergleich mit Celibidache drängt sich gerade bei Bruckner auf, und was man dem einstigen Chefdirigenten auch sonst alles an problematischen Zügen nachsagen mag - die rhythmische Konstanz und Konsistenz hat er gewahrt.

Der aufmerksame Hörer vermag sich nach dem Verdämmern das Adagios, das Gergiev mit Recht und Ehrfurcht als Vermächtnis empfand, gleichwohl vorzustellen, zu welchem Ende Bruckner die Sinfonie hat führen wollen. Die intervallisch weit gespannten Themen des ersten und dritten Satzes sollten im Finale mit einem ganz ähnlichen Thema aufgegriffen, kontra­punktisch ehrgeizig, mit ausgedehnter Fuge verarbeitet und zu einer großen Synthese um nicht zu sagen Apotheose gebracht werden. Dies hätte zwar gelingen können, aber nicht müssen. Das hinter­lassene Material läßt vermuten, daß Bruckner vielleicht nicht an mangelnder Erfindungs­kraft, eher jedoch an der Dramaturgie, d.h. am sog. Finalproblem der Sym­phonik des 19. Jhdt.s gescheitert wäre. Der Kopfsatz ist so stringent gelungen, daß die gleiche Aufgabenstellung im Finale nur zu einem blassen, wenngleich aufge­quollenen Abklatsch geworden wäre. Man hätte viel Betriebsamkeit vorgetragen bekom­men, aber wie in manchen Finali von Mahler und Schostakowitsch wäre damit eher dem Betrieb, als der Notwendigkeit gedient gewesen. Das Finale von Bruckners 8. überzeugt offenbar auch deshalb, weil es in der Motorik ganz verschieden von deren Kopfsatzthema und Kopfsatzcoda ist.