Bayerische Staatsoper: Puccini: Turandot (November 2011)

 

Puccini für die ADHS-Generation

 

Eine multimediale Inszenierung

Die z.T. heftige Kritikerschelte für die Neueinstudierung durch die katalanische Gruppe La Fura dels Baus kam etwas überraschend, denn die Absicht ihres Konzeptes war keineswegs überraschend. Allerdings hat die Regie - verantwortlich Carlos Padrissa - auch falsche Fährten gelegt, und die Kritiker haben vielleicht nur das begleitende Augenzwinkern übersehen. Die Handlung in ein vermeintliches China der Zukunft, mit Computerspielen, 3-D-Brillen, halogenbehelmten Agenten und Trapezkünstlern in schwarzem Lack, verlegt zu haben, kann kein ernsthaftes Regiekonzept sein, weil die Handlung ja ohnehin mythisch, d.h. zeitlos ist. All die Turbulenz, Figurenfülle, Buntheit und Oberflächlichkeit auf der Bühne ist von vornherein nur Deko. Die Katalanen dachten zu Beginn ihrer Arbeit vermutlich: oh, was für eine tolle Bühnentechnik, die schöpfen wir aus. So wird herbeigeschafft, was der Schnürboden hergibt, und ein gewaltiges Turbinenrad in der Mitte aufgehängt, in dem man nach Gusto das Rad der Fortuna, das Auge Gottes, die Turbine des Fortschritts, ein Kaleidoskop oder den Tunnel der Zeit erblicken kann. Dort finden auch die 3-D-Projektionen statt, leider in der schlechten Anaglyphentechnik, aber die bessere Polarisationsprojektion hätte eine teure Spezialleinwand erfordert. Nicht, daß die computergenerierten 3-D-Videos irgend etwas mit der Handlung zu tun gehabt hätten, aber sie zeigten die Absicht, Bühnen- und Handlungsraum für neue Techniken zu öffnen.

Die Regie wollte das überkommene Gesamtkunstwerk an das neue Gesamtkunstwerk Digitalkunst heranführen und so - tendenziell - für eine jüngere Generation interessant machen; folgerichtig wurde die Produktion von der Staatsoper in der Reihe Junges Programm angesiedelt. Man mag - stellvertretend - von Manga-Ästhetik reden, oder gleich von Trash. Im Kino geht man freilich schon länger kreativ mit Trash um. Parissa wollte zweifellos auf den Nachholbedarf der Oper aufmerksam machen.

Daß er die Schwierigkeiten gerade dieser Oper nicht einmal ansatzweise in den Blick nimmt, steht auf einem anderen Blatt. Man kann sich die zahlreichen szenischen Einfälle und Albernheiten lange gefallen lassen, die grellen Kostüme, die technischen Modernismen, die Totenschädelwiese, die an Strickleitern aufgehängten Wohnwaben, die teils an Opiumhöhlen, teils an Katakomben erinnern, den kaiserlichen Fahrturm usw. Wirklich ärgerlich wird es nur an wenigen Stellen, etwa wenn zu einer lyrischen Arie Breakdancer agieren. Da tut es nicht nur der Handlung, sondern auch der Musik weh.

Die essentielle Frage des Schlusses hat Padrissa bereits vorbeugend delegiert. Angeblich hat Premierendirigent Mehta weder den Schluß Alfanos, noch denjenigen Berios gebraucht, und so endet man stumpf fragmentarisch. Denjenigen Berios hätte man ja schon einmal gerne gehört, aber dafür war wohl - wie spitze Zungen behaupten - nach dieser aufwendigen Inszenierung kein Geld mehr da. Die Sänger behelligt Padrissa nicht nachhaltig, und die Besetzung erreicht auch ein gutes, wenngleich nicht besonderes Niveau. Jennifer Wilson agiert stimmlich und darstellerisch mit der gebotenen Kälte, kann aber die von Turandot ausgehende Faszination auf die Männer nicht glaubhaft machen. Von der figurativen Vorstellung einer jugendlichen Prinzessin muß man bei ihr ebenso Abstand nehmen wie bei Johan Botha, dessen Prinz Kalaf einen veritablen Ludwig II. in seinen späteren Jahren abgäbe. Anrührend menschlich gestaltet hingegen Ekaterina Scherbachenko die opferbereite und todgeweihte Liu. Das große Orchester führt Dan Ettinger kraftvoll, aber nicht grob durch die Partitur.

 

Puccinis Finalproblem

Puccinis Scheitern an dem Stoff läßt sich, wenngleich mit einigem Aufwand, durchaus erklären. Der Hauptfehler war, die Liebesunfähigkeit der Prinzessin modernisieren, d.h. psychologisieren zu wollen, vermutlich durch die freudianische Diskussion weiblicher Hysterie und Frigidität motiviert. Diese Absicht geht jedoch über die schon aus den Märchen von 1001 Nacht oder noch früherer Quelle stammende Geschichte zu weit hinaus, oder anders gesagt: zerstört sie. An den Versionen seiner Landsleute Gozzi, Busoni und Antonio Bazzini hätte Puccini sehen können, wie die Handlung gemeint war und nur gemeint sein konnte. Man könnte vermutlich auch sagen, daß er in der Psychologisierung nicht weit genug gegangen ist, und dies käme auf das Gleiche hinaus.

Puccinis letzter Fehler, der die Vollendung des Finales unmöglich machte, war die Entscheidung für den Tod Lius. Zwar hätte man auch diesen Tod noch als Opfer der dafür prädestinierten "zweitrangigen" Person akzeptieren und darüber eine Versöhnung des dann zu vermählenden Paares errichten können, aber diese Schuld erträglich zu machen, überforderte die Protagonisten und den sie autorisierenden Komponisten.

Auf der Fährte zu diesem letzten Mißverständnis liegt die Begründung von Turandots Liebesaversion mit einer einst vergewaltigten Ahnfrau, für die sie, Turandot, Rache an den Männern zu nehmen berechtigt und verpflichtet sei. Diese Konstellation mutet zwar irritierend modern-feministisch an ("alle Männer sind Schweine"), verfehlt aber gerade darin den Kern des Problems. Puccini sah damals wohl einen neuen Typus Frau aufkommen, emanzipiert und männlicher Verführung daher nicht mehr automatisch ausgeliefert. Die naive ht. Dominanzvorstellung will jedoch diese Machtverschiebung nicht wahrnehmen/anerkennen und sucht statt dessen nach externen Gründen, etwa unter dem Motto: eine Frau, die mich als Mann nicht begehrt, muß durch ein Trauma versehrt worden, also irgendwie krank sein. Er versteht nicht, daß es keiner Versehrung bedarf, um liebesunfähig zu sein, sondern umgekehrt die Liebesfähigkeit begründungsbedürftig ist.

Daß Liebesfähigkeit auch gelernt werden, also Bestandteil der Sozialisation gewesen sein müßte, kommt Puccini gar nicht in den Sinn. Er begreift nicht, daß das männliche Begehren für Turandot noch kein zureichender Grund ist, es zu erwidern - da sie noch gar nicht begonnen hat, für sich selbst ein Begehren zu entwickeln. Kalafformuliert sein vollständiges Unverständnis Turandots in dem Satz: "ich will dich glühend vor Liebe" (Ti voglio ardente d'amor!). Er glaubt, daß dieser Zustand für Turandot libidinös positiv besetzt, also erstrebenswert sei. Tatsächlich aber ist ihr dieser Zustand gänzlich unbekannt, und so wie er ihr geschildert wird, ist er auch nicht erstrebenswert.

Puccini hatte sich in eine Aporie hineinkomponiert. Ein Auseinandergehen des designierten Paares wäre kein Opernfinale gewesen. Die Überwindung von Turandots Frigidität müßte existenziell begründet sein, dürfte also nicht bloß dem bei Gozzi von Komödientradition und Aufklärungsoptimismus verlangten glücklichen Ende geschuldet sein. Der zur Komposition vorliegende Text verlegt diese Transzendenz zur Leiblichkeit in einen Kuß, und in dessen musikalischer Gestaltung sah Luciano Berio auch seine Hauptaufgabe. Jedenfalls ging er darin über Alfano hinaus. Ob die Musik überhaupt eine solche Transzendenz, eine Umwertung der psychischen Grundstruktur einer Person, schildern könne, muß bezweifelt werden. Puccini konnte diese Wandlung in seiner Musik nicht mehr darstellen, d.h. erlebbar machen. Man könnte auch sagen: auf falsche Fragen kann es keine richtige Antwort geben. Das Libretto ist an dieser Stelle so mager, daß die wesentliche Handlung in der Musik stattfinden müßte. Allerdings fühlt sich der Leser auch fatal an Cosi fan tutte erinnert, wo ja eine Konversion der spröden Schönen zur Hochzeit mit dem Fremden quasi mechanisch ablaufen kann. Genau dies kann in dieser Turandot nicht gemeint (gewesen) sein, doch was zur psychischen Heilung nötig wäre, kann diese Musik nicht schildern und kann wahrscheinlich keine.

 

Motivdynamik im Finale

Man kann die gewaltige Differenz zwischen der vorpsychologischen und der modernen Anthropologie bereits an den Rätselfragen ablesen. Bei Gozzi und Busoni wird nach objektiven, also sachhaften und rational verhandelbaren Gegebenheiten gefragt: Verstand, Sitte, Kunst. Das Rätsel ist hier ein intellektuelles Spiel, vergleichbar dem Strategiespiel Schach. Bei Puccini lauten die Fragen: Hoffnung, Blut und Turandots eigene Person. Hier wird ein existenzielles Begründungsbedürfnis in ein Rätsel verpackt, d.h. die Bewerber müssen gewissermaßen Turandots Befindlichkeit erraten. Mit Blut ist dabei das sinnliche Begehren gemeint, doch davon kann Turandot nichts wissen. Die von ihr verwendete Formulierung entspricht nicht ihrem Bewußtseins- und Erfahrungsstand. Liu flüstert Kalaf als Lösungswort Liebe ein. Darin kann man einerseits ihr konkretes Gefühl für Kalaf ausgesprochen finden, andererseits aber auch den Unterschied der Geschlechter in der Wahrnehmung des ambivalenten Phänomens ausgedrückt sehen: die Frau denkt an Liebe, der Mann an Lust und physisches Begehren. Daß Turandot ihre eigene Ambivalenz so gut durchschaut, wie sie in der dritten Rätselfrage formuliert ist, kann man getrost für unmöglich halten. Eine solche Individualisierung, man könnte auch sagen: ein argumentum ad hominem, ist auch unmythisch gedacht. Der Mythos denkt überindividuell und gattungsbezogen, vgl. etwa die Rätselfrage der Sphinx.

Der Mythos duldet einerseits große Ungleichheit - und disponiert so etwa die Sklavin zum potenziellen Opfer -, enthält andererseits aber auch einen Maßstab für Gerechtigkeit. Turandots menschenverachtende und -vernichtende Bewerbungssituation wäre antikulturell, wenn ihr kein Widerpart entgegengestellt würde. Dies ist Kalafs Rätselfrage an sie. Daß die Strafe für die Nichtbeantwortung sein Tod wäre (ein Weggang würde freilich auch genügen), zeigt den Zweck dieser Frage. Turandot ist de jure bereits seine Braut. Wenn er sich ihr als Bräutigam entzieht, fügt er ihr also den größtmöglichen Schaden zu und kommentiert damit auch ihre Bewerbungskonstellation. Es ist jetzt an ihr, ihn zu erkennen, und zwar auch in jenem sexuellen Doppelsinn, wie ihn die Bibel verwendet. Man kann sich hier auch an das Wälsungenpaar in Wagners Walküre erinnern. Sieglinde muß den Namen des Fremden erraten, und wenn dieser zu feuriger Musik bestätigend ruft Siegmund heiß ich, Siegmund bin ich, ist der Fortgang der Handlung bis zum blühenden Wälsungenblut klar.

Kalafs Selbstmord würde das gleiche Ergebnis zeitigen, wie wenn er die Bewerbung nicht bestanden hätte. Die Begründung wäre jedoch eine andere, nämlich eine selbst verantwortete, nicht eine von außen auferlegte. Er brächte sich um, weil ihn Turandot trotz bestandener Prüfung nicht nähme, nicht erkennte. Den Namen auf herkömmliche Weise auszuforschen, hieße, sich für das soziale Umfeld des Bräutigams zu interessieren und ihn als Person wahrzunehmen (was freilich viel Zeit kosten würde). Damit würde das unmenschliche, da unpersönliche Auswahlverfahren der Prinzessin durch eines abgelöst, das zu einer Humanisierung der Liebe oder zumindest der Ehe führen würde.

Die Sklavin Liu, die keinen Status zu verteidigen hat, ist diesen humanen Weg bereits gegangen und hat durch ihre Liebe den Zugang zu Kalaf gefunden, kennt also seinen Namen. Turandot glaubt nun, eine Abkürzung wählen zu können, indem sie von Liu den Namen erpressen will. Sie will sich den Gewinn dieser schon bestehenden Liebe zunutze machen/aneignen, ohne vorher die entsprechende (emotionale) Investition aufgebracht zu haben. Das fremde Wissen wäre ein ähnlicher Betrug, wie die Auswechselung von Gunther durch Siegfried bei Wagner, erschlichene Liebe.

Verriete Liu den Namen, bliebe der Makel des Verrates an ihr haften, während sie durch einen heroischen Tod das moralische Niveau einer Standesperson erreicht. Aus ihrer Sicht ist der Selbstmord ohnehin die Methode der Wahl, denn für sich kann sie Kalaf in keinem Falle gewinnen. Sogar wenn Turandot auf anderem Wege erfolgreich wäre, würde Liu der Selbstmord ersparen, ihr Glück mit Kalaf ansehen zu müssen. Falls aber Turandot nicht erfolgreich wäre, stürbe Kalaf, die Prinzessin ginge leer aus und Liu wäre mit Kalaf im Tode vereint. Aus der Sicht der Prinzessin: selbst wenn ihr der Name ausfindig gemacht wird, ist damit der geringste Teil ihrer Aufgabe bewältigt, denn sie muß sich dann immer noch mit der von ihr kaum vermeidbaren Hochzeit/Ehe aussöhnen, den Bräutigam also lieben lernen.

So kann das Motiv des Namens in Puccinis Konstruktion gar keine Rolle mehr spielen. Er wirft es weg, bürdet Turandot die Schuld an der Hinrichtung auf und hofft, daß eine wie immer zufällig zustande kommende körperliche Berührung, der erwähnte Kuß, das libidinöse Leben erweckt. Dies aber kann nicht gelingen und ist auch nicht gelungen. Man hätte Puccini klarmachen müssen, daß er hier nicht etwa eine Art negativer Tristan-und-Isolde-Geschichte vor sich hatte, sondern etwas wie Daphnis und Chloe nach Longus, von Debussy übrigens passend in Musik gesetzt. Was Puccini wollte, ist ähnlich unmöglich wie etwa, sich die Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte als liebende Frau vorzustellen. Mzzarts Musik schafft in einigen Takten sogar eine Erinnerung an die Gefühlshaftigkeit dieser Figur, aber es muß Erinnerung bleiben, und es gibt keine Versöhnungsmusik. Puccinis Musik (für die Prinzessin) hätte den Weg zwischen der Königin der Nacht und Pamina zurücklegen müssen.

 

Schillers geniale Lösung

Der zentrale Konflikt der Handlung ließe sich befriedigend auflösen, und dies hat Schiller in seiner Nachdichtung von Gozzi gezeigt - allerdings in einer klassisch-idealistischen Dramaturgie, in der Vernunft und Gefühl, Konvention und Psychologie, noch einen stabilen Ausgleich erreichen können. Wenn man einen solchen Ausgleich von vornherein für unmöglich oder unglaubwürdig hält, gibt es in der Tat keine Lösung. Schiller kann den Verrat des Namens durchaus zulassen und damit Kalaf zum Verzicht disponieren. Der Liebende hätte ohne die(se) Liebe kein Leben mehr, die Prinzessin hat ohne die(se) Liebe - noch - kein Leben.

Kalaf.

           Ja, Unversöhnliche!
Sieh hier den Kalaf, den du kennst - den du
Als einen namenlosen Fremdling haßtest,
Den du jetzt kennst und fortfährst zu verschmähn.
Verlohnte sich's, ein Dasein zu verlängern,
Das so ganz wertlos ist vor deinen Augen?
(Er zieht einen Dolch und will sich durchstechen. In demselben Augenblick macht Adelma eine Bewegung, ihn zurückzuhalten, und Turandot stürzt von ihrem Thron.)

Turandot (ihm in den Arm fallend, mit dem Ausdruck des Schreckens und der Liebe).

Kalaf!

(Beide sehen einander mit unverwandten Blicken an und bleiben eine Zeitlang unbeweglich in dieser Stellung.)

Kalaf (nach einer Pause).

               Du? Du hinderst meinen Tod?
Ist das dein Mitleid, daß ich leben soll,
Ein Leben ohne Hoffnung, ohne Liebe?
Meiner Verzweiflung denkst du zu gebieten?
- Hier endet deine Macht. Du kannst mich töten,
Doch mich zum Leben zwingen kannst du nicht.
(Er will sich töten.)

Turandot sieht hier zweierlei. Kalafs heimliche Geliebte, die hier nicht Liu, sondern Adelma heißt, will seinen Selbstmord verhindern und bekundet damit ihre Wertschätzung des Geliebten. Daraufhin erkennt auch Turandot für sich seinen Wert. Sie erkennt, daß sein Leben ihrer Liebe bedarf und nur darin seinen Sinn erhält. Dies kann sie als legitime Begründung für eine liebende Gemeinschaft annehmen. Sie übt in gewissem Sinne noch die gleiche Macht über Leben und Tod aus, wie sie sie vorher durch Hinrichtung der Freier ausgeübt hat, doch nun sieht sie, daß diese Macht auch innerhalb des Lebens und für das Leben ausgeübt werden kann. Daß ein Liebender sein Leben freiwillig für die Geliebte hinzugeben bereit ist, überzeugt Turandot von Sinn und Wert der Liebe überhaupt.

Turandot

(wirft sich ihm in die Arme).

Lebt, Kalaf! Leben sollt Ihr - und für mich!
Ich bin besiegt. Ich will mein Herz nicht mehr
Verbergen - Eile, Zelima, den beiden
Verlassenen, du kennst sie, Trost zu bringen,
Freiheit und Freude zu verkünden - Eile!

Den Verrat des Namens kann Schiller auch zu Turandots Konversion/Restitution verwenden, da die Prinzessin den illegitimen Vorteil darin erkennt.

Turandot.

Ich will mich keines Ruhms anmaßen, Prinz,
Der mir nicht zukommt. Wisset denn; es wiss'
Es alle Welt! Nicht meiner Wissenschaft,
Dem Zufall, Eurer eignen Übereilung
Verdank' ich das Geheimnis Eures Namens.
Ihr selbst, Ihr ließet gegen meine Sklavin
Adelma beide Namen Euch entschlüpfen.
Durch sie bin ich dazu gelangt - Ihr also habt
Gesiegt, nicht ich, und Euer ist der Preis.
- Doch nicht bloß, um Gerechtigkeit zu üben
Und dem Gesetz genug zu tun - Nein, Prinz!
Um meinem eignen Herzen zu gehorchen,
Schenk' ich mich Euch - Ach, es war Euer, gleich
Im ersten Augenblick, da ich Euch sah!

Man könnte hier allenfalls einwenden, daß Schiller die Liebesübereinkunft wie einen moralischen Handel ins Werk setzt. Es geht um Fairness und Selbstbestimmung. Turandot kann in dem Augenblick einwilligen, wenn sie erkennt, daß sie dies ihrer Selbstachtung schuldig ist. Das ist ganz und gar aufklärerisch gedacht und setzt emotionale und physische Liebesfähigkeit unbezweifelt voraus - außerdem ein beiderseits anerkanntes, in Konvention eingebettetes Geschlechterverhältnis. Die modernen Probleme von Frigidität und Liebesunfähigkeit aufgrund von forciertem Autonomiestreben, Narzißmus oder Geschlechtsrollenlabilität, können so nicht behoben, nicht einmal bearbeitet werden.