Vivaldi
Violinkonzerte – München, Gasteig, Philharmonie 21.6.2009
Konzert des Orchestra Padova e del Veneto in der etwas
spärlich besetzten Philharmonie.
Ob der Saal für das überschaubare
Kammerorchester nicht zu groß war, steht dahin. Von einem Platz in der zweiten
Reihe gehört, war der Klangeindruck indes hervorragend und hatte auch eine
angenehme Nachhallzeit. Das Cembalo freilich war wieder nur optisches Dekor,
trat mit Ausnahme einer Solostelle akustisch nicht in Erscheinung. Daß ohne
Dirigent gespielt wurde, entsprach den Verhältnissen zu Vivaldis Zeit, und man
merkte den Musikern an, daß sie bestens aufeinander eingespielt waren. So
vernahm man ihren Hauskomponisten wohlartikuliert, aber ohne forcierte
Modernismen, virtuos, wo es sich anbot, klangsensibel, wie man es sich
wünschte. Die vier Solisten, Piero Toso, der Leiter des Ensembles, Lena
Neudauer, Nicolas Koeckert und Rudens Turku, teilten sich auch schön
demokratisch die Stimmen auf und wechselten sich reihum ab.
Ein Abend nur mit Vivaldi mochte dem
Musikkenner natürlich die Frage aufwerfen, wie man acht Mal das gleiche Konzert
hören könne, das Vivaldi laut Strawinskys verächtlicher Bemerkung ja 500mal
geschrieben habe. Das Ergebnis war doch mehr Abwechslung und Unterhaltung als
erwartet, und zwei der hier ausgewählten vier Konzerte aus dem L'Estro armonico
waren überdies durch Bachs Bearbeitung gewissermaßen geadelt. In op. 3/1
überraschte der Mittelsatz mit einem Affetuoso, das sich Beethoven für den
Mittelsatz seines vierten Klavierkonzertes zur Vorlage genommen haben könnte.
Der idealisch antithetische Kontrast bei Beethoven zwischen Rezitativ und
Melodie (die aber erst entsteht), ist dem barocken Bewußtsein freilich noch
nicht erreichbar; Vivaldi bleibt monistisch. Im A-Dur-Konzert op. 3/5 wird für
die einzelnen Sätze nicht einmal die Tonart gewechselt.
Das Konzert op. 3/8 klingt uns als Bachs
Orgelkonzert BWV 593 in den Ohren. Das Konzert für 4 Violinen und Orchester
h-Moll, op. 3/10 hat Bach in seiner Fassung für 4 Klaviere BWV 1065
entsprechend den Möglichkeiten seiner Besetzung um etliche Linien bereichert.
An diesen Transformationen läßt sich erahnen, was den Kontrapunktiker und Strukturdenker
Bach an dem so viel einfacher vorgehenden Italiener angezogen haben mag.
Immerhin bewegen sich beide auf dem soliden Generalbaßfundament und kommen doch
zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Vivaldi liefert fertige Formmodelle und
wohlgestalte, leicht faßliche Melodik, die sich bestens für neue Einkleidungen
eignet. Beide Komponisten sind dem Geist des Rationalismus verpflichtet - was
hier eine bessere Epochenbeschreibung als Barock ermöglicht. Musik ist in
dieser Zeit noch in höherem Maße tönend bewegte Form, als dies später Hanslick
von der Klassik gesagt hat - in der nämlich zusätzlich noch Subjektivität
enthalten ist. Vivaldis Musik erfreut sich unermüdlich der instrumentalen und
figurativen Möglichkeiten der Zeit und schreitet einen leicht nachvollziehbaren
harmonischen Raum aus. Daran würde auch eine Entgegnung auf Strawinsky
ansetzen: zum einen an der relativen Neuheit der Formen - die beim damals
gemächlicheren Gang der ästhetischen Entwicklung dann eben auch für ein ganzes
musikproduktives Leben ausgereicht hat -, und zum andern am "anthropischen
Prinzip" der damaligen Ästhetik, maßvollen Aufwand und Gemütsergötzung des
Hörers zur Richtschnur zu machen. Strawinskys Bemerkung wirkt auf den modernen
Hörer zwar plausibel, ist aber unhistorisch.
Unhistorisch wäre auch, für die damalige Zeit
einen Gegensatz zwischen absoluter und Programmusik zu unterstellen. Vivaldis
Konzerttetralogie der Vier Jahreszeiten verbindet beide in bester Harmonie. Es
sind vier Konzerte mit Solovioline, denen mit den beigelegten Sonetten ein
Zusammenhang mit dem Ablauf der Jahreszeiten unterlegt wird. Die allgemeine
Stimmung der jeweiligen Jahreszeit teilt sich dem Hörer mühelos mit - und dies
verschafft dem Zyklus seine Popularität -, die Details der Ausführung, etwa den
bellende Hund im zweiten Satz des Frühlings oder den Auftritt des Schäfers und
der Nymphe im dritten Satz findet nur der Leser der Partitur.